FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2006

 

Traumatisierte Kinder/Jugendliche in Pflegefamilien

Langfristige Folgen frühkindlicher Traumatisierung
und die Auswirkungen von Besuchskontakten

(mit Skript zum Workshop)

von Alice Ebel

 

Vorbemerkung: Der hier vorabgedruckte Vortrag von Dipl. Psychologin Alice Ebel soll am 8. Juli in Freiburg im Auftrag des dortigen Jugendamts für Pflege- und Herkunftsfamilien, Fachkräfte der kommunalen und freien Erziehungshilfe, Fachanwälte und Sorgerechtspfleger und Vertreter der politischen Parteien gehalten werden.
K.E. (Juli 2006)

 

Wir werden uns heute mit folgenden Fragen beschäftigen:
-  Was macht ein Kind zu einem "traumatisierten Kind"?
- Wie kann es dazu kommen, dass Eltern ihr eigenes Kind traumatisieren?
- Welche Folgen hat Traumatisierung und welche Herausforderungen bringen diese für die Pflegefamilie mit sich?
- Welchen Einfluss haben Besuchskontakte mit der Herkunftsfamilie?
- Was brauchen Kinder aus traumatisierenden Herkunftsfamilien?

Bevor wir uns den traumatisierten Kindern zuwenden, möchte ich zunächst darstellen, welche Erfahrungen als "Trauma" bezeichnet werden können und wie es möglich ist, dass Eltern ihre eigenen Kinder traumatisieren.

Beim Begriff "Trauma" denken wir meist an schwere Misshandlungen oder sexuellen Missbrauch, vielleicht noch an Unfälle oder Überfälle o.ä. Nur wenige Menschen sind sich bewusst, dass auch viel "harmloser" erscheinende Erfahrungen traumatisierend wirken. Ich gebe hier eine Aufzählung aller Erlebnisse bzw. Lebenssituationen, die auf Kinder traumatisierend wirken, insbesondere, wenn solche Erlebnisse immer wieder oder sogar regelmäßig durchlitten werden. Die Reihenfolge dieser Aufzählung ist beliebig und sagt nichts über den „Schweregrad” aus!

  • Kriegshandlungen
  • Natur- u. Verkehrskatastrophen,
  • schwere Unfälle, lebensbedrohliche Krankheiten,
  • invasive medizinische Eingriffe (Intensivstation)
  • plötzlicher Verlust vertrauter Menschen u. sozialer Sicherheit
  • kriminelle Handlungen (Kidnapping, Überfall, Mord etc.)
  • wenn das Kind als Erwachsener (z.B. als Partnerersatz) behandelt und damit total überfordert wird
  • wenn das Kind das Agieren der Eltern unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss bzw. im Entzug erlebt und seine eigenen Bedürfnisse dabei total übersehen werden
  • wenn das Kind in den Wahnwelten von psychotischen Eltern leben muss
  • wenn bedrohliche Tiere in Haushalt leben, z.B. bissige Kampfhunde, vor denen das Kind nicht von den Eltern geschützt wird
  • nichts zu essen und /oder zu trinken bekommen, hungern und/oder dursten müssen
  • bei großen Ängsten nicht beruhigt werden (z.B. wenn das angstvoll weinende Kleinkind in ein dunkles Zimmer gesperrt wird, dort völlig allein seinen Ängsten ausgeliefert ist und von ihnen überwältigt wird)
  • wenn auf Angstäußerungen des Kindes mit körperlicher Gewalt reagiert wird
  • wenn Babys/Kleinkinder ohne Beziehungsaufnahme rein mechanisch versorgt werden
  • völlig allein gelassen werden, ggf. sogar eingesperrt werden
  • das Erleben von Gewalt zwischen den Eltern
  • das Erleben von Misshandlungen/Missbrauch der Geschwister
  • sexuelle Misshandlung, Missbrauch
  • gewalttätige Übergriffe, Misshandlung, Folter

Bei dieser Aufzählung, werden die meisten von ihnen an das eine oder andere Kind gedacht haben, dem eine oder gar mehrere dieser schrecklichen Erfahrungen von den eigenen Eltern zugefügt wurde. Hier stellt sich immer wieder die Frage:

Weshalb tun die Eltern das?
Die am häufigsten zutreffende Antwort hierauf ist: Sie wissen es nicht besser und können nicht anders, kurz, sie sind erziehungsunfähig.
Für den Umgang mit erziehungsunfähigen Eltern, den wir alle auf die eine oder andere Art meistern müssen, ist es hilfreich zu wissen, was hinter diesem Begriff steckt.

Hierzu möchte ich einen kleinen psychologischen Exkurs machen:
Erziehungsunfähige Eltern sind zu etwa 95% selber traumatisierte Kinder gewesen, die keine Hilfe erhalten haben. Daraus sind z.T. schwere Persönlichkeitsstörungen entstanden. Manche haben auch andere Schädigungen (z.B. ein fetales Alkoholsyndrom/FAS bzw. fetale Alkoholeffekte/FAE) erlitten. Im Rahmen einer 6-stufigen Schwere-Skala von psychischen Problemen/Störungen, liegen die schweren Persönlichkeitsstörungen auf Platz 4. Manche dieser Eltern haben aber auch "nur" einfache Persönlichkeitsstörungen (3. Platz) oder sogar psychotische Störungen (Platz 5) oder hirnorganische Syndrome (Platz 6). Um ihnen einen Eindruck von dem Ausmaß dieser Störungen zu vermitteln, stelle ich die Skala kurz vor:

1. Neurosen: Die Betroffenen haben einen vollkommenen Realitätsbezug und nur ein isoliertes Einzelproblem (z.B. Angst vor beruflichem Misserfolg oder eine gewisse Konfliktscheu in bestimmten Situationen o.ä.). Neurotiker sind wir vermutlich alle irgendwie ;-)))

2. Psychosomatische Störungen: Wenn eine (schwere) neurotische Störung in körperliche Prozesse überschlägt und z.B. Eßstörungen, Herzprobleme, Migräne u.ä. hervorbringt. Das kennen sicher auch einige von uns....

3. Persönlichkeitsstörungen: Die gesamte Persönlichkeit ist von dem (neurotischen) Problem erfasst, d.h. jemand hat nicht nur Angst vor beruflichem Misserfolg, sondern ist insgesamt sehr ängstlich und misserfolgsorientiert, oder er ist nicht nur in bestimmten Situationen konfliktscheu, sondern meidet aus Angst vor Konflikten jeglichen sozialen Kontakt. Auch Suchtverhalten gehört hierher.

4. Nun kommen die schweren Persönlichkeitsstörungen:
Menschen mit derartigen Störungsbildern sind die "typischen" erziehungsunfähigen Eltern. Die meisten von ihnen lassen sich einer der drei Untergruppen zuordnen:

a) Borderline-Störungen: Diese Menschen pendeln ständig zwischen zwei individuellen Polen, die aber relativ stabil sind (d.h., sie überschreiten ihre Pole nicht und fallen z.B. nicht in eine Psychose). Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch: schwarz-weiß-Denken bzw. Gut-Böse-Denken (andere Menschen sind entweder gut oder böse, es gibt keine Abstufungen), Wechseln zwischen Idealisieren und Verteufeln von Beziehungen/ Beziehungspartnern, starke Stimmungsschwankungen ohne äußeren Anlass (die dann oft an den Kindern ausgelassen werden, auch im Sinne von "Du bist mein Engel...du bist ein Teufel"). Sie wirken in guten Momenten sehr charmant, sind aber in schlechten Momenten unbeherrscht und gewalttätig und sehen oft die Zusammenhänge zwischen ihrem Verhalten und seinen Folgen nicht (z.B. schlagen sie das Kind und wenn es weint fragen sie erstaunt "Was hast du denn?"). Oft haben diese Menschen Probleme, die Grenzen von anderen wahrzunehmen, sodass sie übergriffig und/oder aufdringlich wirken.

b) schwere narzisstische Störungen: Dies Krankheitsbild kommt häufiger bei Männern vor und hat seine Ursache in schweren Kränkungen in der Kindheit. Diese Menschen kehren die fehlenden Liebeserfahrungen in der Kindheit in pathologische Selbstliebe und Größenphantasien um. Sie sind beziehungsunfähig, alle ihre Beziehungen sind kalt und entleert. Nach außen wirken sie manchmal durchaus großartig, aber innerlich herrscht Beziehungslosigkeit (z.B. der Lehrer, der seine eigenen Kinder misshandelt und drillt, aber in der Schule als toller Pädagoge gilt). Oft können sie ihre Beziehungspartner nicht beschreiben und haben kein inneres Bild von ihnen. Sie sind gefühllos (oft auch körperlich) und können auch die Gefühle anderer nicht wahrnehmen (z.B. die Angst und den Schmerz ihres misshandelten Kindes). Sie können sehr gewalttätig sein, weil sie sich mit dem Aggressor ihrer Kindheit total identifiziert haben und das eigene Opfersein total abgespalten haben. Das Gute und Liebevolle in ihnen ist zerstört und sie wollen (unbewusst) auch das Gute in ihren Kindern zerstören, weil es sie an ihren einen Schmerz erinnert. "Wenn ich nie wieder schwach bin, kann mir keiner mehr was tun" (und vielleicht auch..."Wenn ich dich solange schlage, bis du so wirst wie ich, dann kann auch dir keiner mehr was tun"??)

c) Infantile Störungen: Dieses Störungsbild kommt vermehrt bei Frauen vor. Diese wirken unreif und kindlich (oft bei normaler Intelligenz) und versagen meist schulisch und beruflich. Diese Frauen neigen dazu, sich gewalttätige Partner auszusuchen und verharren dann in der Position des geschundenen, hilflosen Kindes. Sie übernehmen weder für sich, noch für ihre Kinder Verantwortung und sehen in ihren Kindern eher Gleichaltrige. Sie können zwar sagen, was Kinder brauchen, aber es nicht umsetzen, nicht geben. Ein eindrucksvolles Beispiel für eine Mutter mit infantiler Persönlich-keitsstörung zeigt der Film "Ladybird".
Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen haben einige gemeinsame Merkmale, die bei allen Untertypen zu beobachten sind:
- Primitives Beziehungserleben, das schnell zwischen z.T. gewalttätigem Streit und unreflektierter "Versöhnung" schwankt (gestern hat der Mann die Frau verprügelt und      heute sitzen sie gemütlich gemeinsam auf dem Sofa, als sei nichts gewesen...und finden das ganz normal);
- impulsives, primitives und gewalttätiges Verhalten;
- fehlende Reaktion auf unhaltbare Zustände (z.B. wird sexueller Missbrauch von Kindern als etwas "ganz normales" empfunden);
- total unreflektiert gegenüber eigenem Verhalten und eigenen Fähigkeiten (z.B. Größenphantasien bei stark eingeschränkten Fähigkeiten), und der eigenen Geschichte (z.B. Idealisierung des misshandelnden Vaters);
- Sprunghaftigkeit, Unzuverlässigkeit, fehlende/mangelnde Strukturierung des Lebensalltags
- keine Schuldgefühle bei Fehlverhalten (z.B. Gewaltausübung);

Häufige, aber nicht immer anzutreffende äußere Merkmale solcher Familien sind: Vermüllung, Verwahrlosung, bizarre Haushaltsführungstechniken, häufige Fehlzeiten in Kiga und Schule, extreme Tierhaltung (z.B. mehrere bissige Kampfhunde oder Giftschlangen o.ä. beim Kind), mangelnde ärztliche Versorgung, selbstverletzendes Verhalten ....und all das wird als völlig normal wahrgenommen. In dem Film "Ladybird" wird eine Mutter mit einer schweren (in diesem Fall infantilen) Persönlichkeitsstörung sehr eindruckvoll dargestellt.

Sollten sie mit Familien in Kontakt kommen, die einige dieser Merkmale zeigen, ist es gut, wenn sie sehr genau hinschauen, wie es den Kindern dieser Familie geht! Denn diese Kinder sind besonders gefährdet Opfer von traumatisierenden Handlungen ihrer Eltern zu werden.

5. Die 5. Stufe in der Skala belegen die Psychosen: Menschen mit psychotischen Störungen haben keinen Realitätsbezug mehr. Sie haben wahnhafte Ideen und denken z.B., dass ihre Gedanken von fremden Mächten gesteuert werden oder dass sie verfolgt werden oder dass sie oder ihre Kinder Aliens sind o.ä. Manche Psychotiker haben auch optische und/oder akustische und/ oder taktile Halluzinationen. Sie sind durch Argumente nicht erreichbar und verarbeiten alle Infos entsprechend ihrem jeweiligen Wahnsystem. Sie können gewalttätig sein, dies ist aber kein Leitsymptom.

Die Erziehungsunfähigkeit von Menschen mit einer psychotischen Erkrankung begründet sich nicht unbedingt auf einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ihrer Kinder, obwohl dies durchaus auch der Fall sein kann. Es begründet sich vielmehr meist auf der Gefährdung der psychischen Gesundheit der Kinder, da diese in der Wahnwelt des erkrankten Elternteils aufwachsen und entsprechend keinen angemessenen Realitätsbezug entwickeln können.

6. Hirnorganische Syndrome und geistige Behinderungen: Solche Eltern sind aufgrund ihrer mangelnden geistigen Fähigkeiten bzw. fehlender Handlungsmöglichkeiten (z.B. Zustand nach schwerem Schlaganfall) oder aufgrund vorgeburtlicher Hirnschädigungen wie z.B. durch Alkohol, nicht (mehr) in der Lage, ihre Kinder selber zu erziehen. Diese Leute haben nicht unbedingt selber traumatische Erfahrungen in ihrer Kindheit gemacht, sind aber aufgrund ihres Zustands nicht erziehungsfähig.

Pflegeeltern (PE) haben es nicht selten mit Herkunftseltern (HE) zu tun, die schwere Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen und die damit verbundenen Auffälligkeiten zeigen. Mit diesen Menschen umzugehen, ist meist nicht einfach, denn ihr oft unberechenbares, manchmal auch bedrohliches und z.T. skurriles Verhalten wirkt oft bis in die Pflegefamilie hinein, insbesondere, wenn es Besuchskontakte zwischen dem Pflegekind und seiner Herkunftsfamilie gibt.

Doch nicht nur der Umgang mit den HE stellt eine Herausforderung für PE dar, auch das Verhalten traumatisierter Kinder ist nach solchen Kontakten oft problematischer und auffälliger als im ohnehin nicht einfachen Pflegealltag. Auf das Verhalten der Kinder werde ich später noch genauer eingehen.

Hier möchte ich mich zuerst der Frage zuwenden, weshalb dies so ist. Hierfür werde ich zunächst darstellen, welche Folgen das Erleben von traumatischen Erfahrungen bei indern hat:

Akute Folgen von Traumatisierung in und direkt nach dem Durchleben der schrecklichen Situation:
Akute Folgen von Traumatisierung sind zunächst Gefühle extremer Angst und Hilflosigkeit und das Erleben von völligem Kontrollverlust, da die extreme Überstimulierung aller Sinne die gewöhnlichen Bewältigungsstrategien total überfordert. Dies führt zu einem schweren emotionalen Schock, der begleitet ist von Verwirrung, einer tiefen Erschütterung der kognitiven Funktionen, der Affekt-steuerung und der Körperregulation.

Langfristige Folgen von Traumatisierung, die später einsetzen, dafür aber monate- ja sogar jahrelang andauern können:
Eine recht bekannte Folge von traumatischen Erlebnissen ist die sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die sich zum einen in körperlichen Symptomen niederschlägt, wie z.B.

  • Herzrasen, Atemnot, Beklemmungen
  • Unruhe, Schlaflosigkeit, übersteigerte Wachsamkeit
  • Konzentrationsstörungen
  • Taubheitsgefühle, Schmerzen, Starreempfindungen
  • Wahrnehmungsstörungen

und zum anderen zu psychischen Auffälligkeiten führt. Diese können grob in zwei Symptom-Kategorien unterteilt werden:
a) Symptome, die eine erzwungene Nähe zum Trauma herstellen:

  • Alpträume
  • Panikattacken, überwältigende Ängste
  • Zwanghaftes Erinnern
  • Flashbacks (s.u.)
  • Depression

b) Symptome, die Nähe zum Trauma vermeiden wollen:

  • phobische Vermeidung von Ereignis-„Triggern“ (s.u.)
  • emotionale Empfindungslosigkeit
  • Alkohol-, Drogen-, Medikamentenmissbrauch
  • Dissoziative Phänomene (s.u.)
  • Zwangsstörungen
  • Ich-Fragmentierung, Depersonalisation, Derealisation

Wiederholte Traumatisierungen führen zu dauerhaften, ja sogar irreversiblen substantiellen und psychischen Schäden! Doch damit nicht genug...

Weitere Folgen von Traumatisierungen sind Auffälligkeiten im Sozialverhalten, wie:

  • Kontaktstörungen
  • Beziehungsstörungen
  • Sprachstörungen
  • mangelnde Fähigkeit der Selbststeuerung
  • mangelnde Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub, Leben nur im Augenblick, keine Zeitvorstellung
  • mangelnde Entwicklung des Gewissens, Unkenntnis sozialen Normen und Grenzen
  • mangelnde Fähigkeit, aus sozialen Erfahrungen zu lernen, oft auch schulische Lern- und Leistungsprobleme, Teilleistungsschwächen
  • mangelnde Frustrationstoleranz und Ausdauer
  • mangelnde Fähigkeit mit Kritik umzugehen (z.B. alles abstreiten bzw. lügen oder Besserung geloben und trotzdem das kritisierte Fehlverhalten sofort wiederholen)
  • starkes Bedürfnis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen (egal, ob positiv oder negativ)
  • Drang, andere (aus Selbstschutz) zu steuern und zu beherrschen
  • und ....jene Folgen, auf die ich im Folgenden genauer eingehen möchte:
  • Bindungsstörungen
  • diverse Verhaltensauffälligkeiten, die ihre Ursache in sog. Abwehrmechanismen haben.

Auf die ebenfalls gravierenden hirnorganischen Folgen von Traumatisierung, insbesondere im frühen Kindesalter, werde ich später genauer eingehen. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass Traumata über die bereits dargestellten Folgen hinaus auch manifeste Schädigungen im kindlichen Gehirn verursacht

Zur Veranschaulichung zeichne ich diese Zusammenhänge auf:

Frühkindliche Traumatisierung
(Todesangst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust)

PTBS

Körperliche Sympome/Schäden

psychische Auffälligkeiten

Auffälligkeiten im Sozialverhalten

Hirnorganische Schäden

 

                                                              

Schauen wir uns zunächst die Bindungsstörungen genauer an:

Ich möchte mit einem Zitat von Eugen Drewermann beginnen, dass sehr genau auf den Punkt bringt, was das Problem bindungsgestörter Kinder ist: "Kein Mensch betritt diese Welt ohne die bange Frage, ob und wie weit er in der Liebe eines anderen Menschen geborgen sein kann. Und so lange sich diese Frage nicht beruhigt, wird er es nicht wagen, in die Welt zu treten."

Macht ein Kind die Erfahrung, dass es in der Liebe eines anderen Menschen geborgen sein kann, entwickelt es eine sichere Bindung zur erwachsenen Bezugsperson. Es fühlt sich geschützt und hat tiefes Vertrauen. Eine sichere Bindung ist die Folge positiver Abhängigkeit und geglückter Kommunikation. Sie ist der Idealfall, der Menschen beziehungsfähig werden lässt und ihnen genug Urvertrauen gibt, dass sie es wagen, in die Welt zu treten.

Deutlich weniger beziehungsfähig und unsicherer im Leben stehend sind Kinder mit einer sog. unsicher-vermeidenden Bindung. Ihnen fehlt jene Geborgenheit. Sie haben mit ihrer Bezugsperson überwiegend unbefriedigende Interaktionen erlebt und suchen nicht ihre Nähe, da sie diese ohnehin nicht als schützend empfinden würden. Diese Kinder vermeiden den engen Kontakt zur Bezugsperson, da sie Zurückweisung und Desinteresse oder sogar körperliche Übergriffe bzw. Gewalt fürchten. Sie zeigen wenig Gefühle, verhalten sich ihrer Bezugsperson gegenüber meist eher angepasst und fordern nichts für sich. Ihnen scheint das "Dazugehören" zu reichen. Dies macht sie als Jugendliche anfällig für die Verführung zu allerlei Unsinn durch Peer-Groups, weil sie für das Dazugehören bereit sind (fast) alles zu tun. Und auch bei der Partnerwahl setzt sich das Muster aus Vermeidung wirklicher Beziehung bei gleichzeitiger Dienstbarkeit (um zu irgend jemandem dazuzugehören) fort. Bei ausgeprägten Formen dieses Bindungsmusters kann von einer Angstbindung gesprochen werden.

Die zweite Gruppe bindungsgestörter Kinder sind jene Kinder, die eine sog unsicher-ambivalente Bindung zu ihrer Bezugsperson zeigen. Solch ein Kind kann ausgeprägte Affekte wie Wut und Angst zeigen, reagiert sehr gestresst auf die Trennung von seiner Bezugsperson und lässt sich schwer beruhigen. Das ambivalente Verhalten äußert das Kind, indem es Kontakt und Nähe zur seiner Bindungsperson sucht, sich aber gleichzeitig von ihr abwendet. Das unsicher-ambivalente Kind ist stark auf seine Bindungsperson fixiert, klammert und hängt an ihr. Die Abwendung steht im scheinbaren Widerspruch zu dem klammernden Verhalten, zeigt aber nur die andere Seite der Medallie, denn sowohl dass Klammern, wie auch das Abwenden sind Signale der Angst. Zum einen die Angst vor dem Alleingelassen- und Nicht-versorgt-Werden, zum anderen die Angst vor der Bezugsperson selbst.

Können solche Kinder keine korrigierenden Erfahrungen machen und bleiben sie diesem Muster der Angstbindung verhaftet, werden sie weiterhin ein inkohärentes Beziehungsverhalten zeigen, d.h. sie werden zwischen dem Wunsch nach inniger Beziehung/Bindung und ihrer Abwertung und Vermeidung schwanken. Zum Teil werden sie ihre Eltern idealisieren und nicht verstehen, weshalb sie in ihren Beziehungen scheinbar so viel Pech haben. Solche Kinder werden es, ebenso wie die unsicher-vermeidenden, auch als Erwachsene sehr schwer haben, befriedigende Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Dieses Schicksal teilen sie auch mit der vierten Gruppe Kinder....

den desorganisiert gebundenen Kindern. Diese Kinder zeichneten sich dadurch aus, dass sie im Kontakt mit ihrer Bindungsperson immer wieder Momente zeigen, in denen sie weder Bindungsverhalten noch Explorationsverhalten an den Tag legen. In diesen Momenten wirkten die Kinder wie erstarrt, führten begonnenes Verhalten nicht zu Ende oder zeigten gleichzeitig oder kurz hintereinander widersprüchliches Verhalten. Besonders häufig lässt sich diese Form der Bindungsstörung bei Kindern beobachten, die in einer Familie mit diversen Risikofaktoren aufwachsen. Noch ist nicht eindeutig erforscht, wodurch dieses bizarre Verhalten entsteht. Es wird jedoch vermutet, dass die Bezugsperson entweder bei dem Kind Angst auslöst oder selbst in der entsprechenden Situation ängstlich reagiert. Angst einflößendes oder ängstliches Verhalten der Bezugsperson bringt Kinder, die sich auf der Suche nach Schutz und Nähe an diese wenden, in eine schier unlösbare Situation, da die Kinder keine Strategie haben, um damit umzugehen. Welche Folgen dieses Angstbindungsmuster auf zukünftige Beziehungen und auch auf die Partnerwahl hat, können Sie sich sicher vorstellen.

Nun haben wir 3 Arten der Bindungsstörung bzw. Angstbindung kennen gelernt, die sicher viele von Ihnen bereits bei dem einen oder anderen Pflegekind beobachtet haben. Verkürzt können wir sagen, dass eine Angstbindung eine Form der Bindung ist, die zwar auf den ersten Blick wie eine gesunde Bindung an die Eltern aussehen kann, tatsächlich aber auf Angst vor, nicht auf Vertrauen zu den Eltern basiert. Solche Bindungsmuster sind jedoch nicht nur für die spätere Beziehungsgestaltung fatal, sie haben noch weitreichendere Folgen!

Eine akute Folge ist, dass das Kind massiv in seinem Explorationsverhalten, d.h. in seiner Erkundung der Welt und damit in seinem Lernen und seiner Entwicklung beeinträchtigt wird. Denn in dem Maß, in dem sich ein Kind um Bindung kümmern muss, können Welt- und Selbstexploration und die Selbstentfaltung nicht gelebt werden!

Dieser Zusammenhang lässt sich bildlich wie folgt darstellen:


Doch angstmachende Bindungen haben auch langfristige Folgen. Sie wirken pathogen, also krankmachend, weil von dem Kind, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, emotionale Nähe zu Bindungspersonen gesucht wird, die zugleich massive Ängste bis hin zur Todesangst hervorrufen. Diese Verwirrung der Gefühle kann zu manifesten psychischen Schädigungen führen, wenn das Kind keine korrigierenden Erfahrungen machen kann.

Die Tatsache, dass traumatisierte Kinder in aller Regel auch bindungsgestörte Kinder sind, kann sicher von jedem nachvollzogen werden. Manchmal gibt es aber auch Kinder, die keine oder nur eine gering ausgeprägte Bindungsstörung zeigen, obwohl sie in ihrer Herkunftsfamilie traumatisiert wurden. Die Resillienzforschung hat gezeigt, dass dies jedoch nur möglich ist, wenn das Kind die Gelegenheit hatte, zu einer (in unserer Fällen vermutlich nicht zur Herkunftsfamilie gehörigen) verlässlichen Person eine tragfähige Bindung aufzubauen. Ist dies nicht der Fall, müssen wir davon ausgehen, dass traumatisierte Pflegekinder in aller Regel Bindungsstörungen zeigen.

Die Auswirkungen dieser Bindungsstörungen stellen eine der Herausforderungen dar, mit denen Pflegeeltern umgehen müssen. Das ist nicht immer ganz einfach. Ist es doch der Wunsch der meisten PE, das Kind in ihr Herz zu schließen und eine innige Beziehung zu ihm aufzubauen. Das gestaltet sich bei bindungs- bzw. beziehungsgestörten Kindern natürlich oft schwierig. So erleben viele PE, dass sie ihr Pflegekind zwar sehr gern mögen, aber eben doch nicht so sehr lieben können, wie sie es für richtig und wünschenswert hielten. Irgendetwas macht es ihnen schwer oder unmöglich, dieses Kind ganz in ihr Herz zu lassen. Viele Pflegeeltern machen sich dann insgeheim Vorwürfe, weil sie meinen, sie müssten für alle ihre Kinder, gleich viel Liebe empfinden. Hier möchte ich Sie beruhigen.

Es ist weder möglich noch nötig, alle Menschen gleichermaßen zu lieben, denn jeder Mensch hat sein ganz eigenes Maß an Liebe, das er annehmen und verkraften kann.

Viele Pflegekinder gehören zu jenen Menschen, die sich nicht so einfach lieben lassen können, weil sie, aufgrund ihrer Erfahrungen, zu der Entscheidung gekommen sind, dass sich Liebe (insbesondere die zwischen Eltern/Erwachsenen und Kindern) nicht lohnt, nicht tragfähig und verlässlich, ja vielleicht sogar gefährlich oder bedrohlich ist. Diese Kinder wirklich zu lieben, ist schwierig. Nicht weil die PE dazu nicht fähig sind, sondern weil das Pflegekind zum Annehmen solch eines innigen Bindung- bzw. Beziehungsangebots (noch) nicht in der Lage ist.

Manche Kinder können auch zu einem Pflegeelternteil eine Beziehung, vielleicht sogar eine Bindung zulassen, zum anderen jedoch nicht. Das hängt dann meist damit zusammen, mit welchem leiblichen Elternteil das Kind gute bzw. schlechte Erfahrungen gemacht hat und weniger mit der Person Pflegemutter/-vater. Deshalb nehmen Sie es nicht persönlich und machen Sie sich keine unnötigen Vorwürfe, wenn die Beziehung zu einem Pflegekind nicht so liebevoll ist, wie Sie es sich wünschen.

Deshalb empfehle ich, die Grenzen des Kindes zu akzeptieren und die eigene Kraft in die Stärkung der intakt gebliebenen Anteile des Kindes zu investieren. Jedes Kind hat irgendwelche Fähigkeiten oder positiven Eigenschaften, deren Förderung und Würdigung das Selbstwertgefühl des Kindes allmählich steigern und sein Selbstbild Schrittchen für Schrittchen verbessern, so dass es beginnen kann, sich selber immer mehr als liebenswert wahrzunehmen. Dies hilft ihm, nach und nach mehr zuzulassen, geliebt/angenommen zu sein.

Wenn Sie bemerken, dass ein Pflegekind Nähe und liebevolle Zuwendung meidet oder entsprechende Situationen immer wieder "sprengt" bzw. "kippt" oder Beziehungen stets auf eine distanzlose aber oberflächliche Art pflegt, dann kann es sein, dass sich das Kind von der angebotenen Nähe überfordert fühlt. Dann ist es hilfreich, eine Beziehung anzubieten, die für das Kind annehmbar ist, auch wenn sie für Sie als "beziehungsgesunde" Menschen sehr arm oder distanziert erscheint.

Für diese Kinder ist eine Begleitung auf dem langen und schwierigen Weg aus der Beziehungslosigkeit hilfreicher, als überfordernde Beziehungsangebote und ein „Überschütten“ mit (angstmachender) Nähe. Das ist für Pflegeeltern nicht einfach und erfordert ein hohes Maß an Bereitschaft, die eigenen Gefühle und Beziehungsmuster immer wieder zu reflektieren und eine für sie (emotional) unbefriedigende Situation ggf. über lange Zeit auszuhalten. Oft hilft es dann, sich klar zu machen, dass das größte Geschenk an dieses Kind nicht die „ideale“ liebevolle Beziehung ist, sondern die Kraft und Verlässlichkeit der Pflegeeltern im Aushalten seiner Beziehungslosigkeit, bis das Kind vielleicht eines Tages innerlich sicher und stabil genug geworden ist, eine echte Beziehung, vielleicht sogar eine Bindung eingehen zu können.

Nun möchte ich mich einer weiteren Folge von Traumatisierung zuwenden, die anfangs nur kurz erwähnt wurde, den Verhaltensauffälligkeiten, die ihre Ursache in sog. Abwehrmechanismen haben.

Abwehrmechanismen sind Überlebensstrategien traumatisierter Menschen. Traumata lösen immer schreckliche Ängste aus, die beständige Begleiter des Kindes bleiben. Da kein Mensch (über-)leben kann, wenn er ständig voller schrecklicher Angst ist, müssen die Kinder ihre Ängste abwehren. Sie entwickeln unbewusste Abwehrmechanismen, die dann als "auffälliges Verhalten" beobachtet werden können. Folgende können besonders häufig beobachtet werden:

  • Pseudo-Autonomie (Kinder die schon früh für sich selber oder sogar Geschwister sorgen, sich für unabhängig und quasi erwachsen halten und keine Bindung (!) mehr eingehen wollen, d.h. nie wieder abhängig sein wollen)
  • übermäßige Bewegung / Hyperaktivität (diese Kinder sind ständig "auf der Flucht" vor ihren Ängsten und versuchen diese durch Zappeligkeit und ständige "Aktion" zu betäuben)
  • Überanpassung (diese Kinder hoffen, durch übermäßiges Brav-Sein, durch blinden, ggf. vorauseilenden Gehorsam die stets als bedrohlich erlebten Erwachsenen zu beschwichtigen und so ihre Ängste zu reduzieren)
  • Totstell-Reflex (völliges Erstarren, nicht mehr Mucksen beim kleinsten Anflug von Gefahr. Erscheint oft bei sexuellem Missbrauch. Oft haben diese Kinder ihre Körperwahrnehmung völlig abgespalten)
  • sich selber schlecht machen (Dies ist der Versuch der Kinder, eine letzte Übereinstimmung mit den Eltern herzustellen, indem sie ihnen Recht geben und die Schuld / Schlechtigkeit auf sich nehmen, in der Hoffnung, durch diese Zustimmung verschont zu bleiben)
  • sexualisiertes Verhalten (z.B. Lolita-Verhalten. Dies ist der Versuch des Kindes, die Kontrolle über die erwartete Missbrauchssituation zu behalten "Wenn ich selber aktiv anfange, dann hab ICH mehr Kontrolle, als wenn ich es passiv ertragen muss". Es kann aber auch ein Hinweis sein, dass das Kind glaubt, sein Bedürfnis nach Nähe nur in Verbindung mit Sexualität befriedigt zu bekommen)
  • Identifikation mit dem Aggressor (diese Kinder sind sehr aggressiv und zerstörerisch Sie versuchen durch "Rambo-Gehabe" abzuschrecken und stark zu erscheinen, in der Hoffnung, dass sich keiner mehr an sie heranwagt um sie zu misshandeln. "Wenn ich nie wieder schwach bin, kann mir keiner mehr was tun")
  • Verleugnung / Verdrängung (diese Kinder versuchen so zu tun, als sei nichts gewesen und unterdrücken bzw. spalten ihre Ängste ab. Manche Kinder idealisieren sogar ihre Erfahrungen bzw. Eltern, um sich selber (und andere) davon zu überzeugen, dass doch gar nichts Schlimmes passiert ist. Oft bahnen sich die Gefühle dann andere Wege, z.B. über psychosomatische Krankheiten, Phobien, Alpträume etc.)
  • Dissoziation

__________________________

Diskurs: Da die Dissoziation eine besondere Rolle beim Erleben, Erinnern und Ausagieren der traumatischen Erfahrungen hat, möchte ich an dieser Stelle genauer darauf eingehen.

Bei der Dissoziation handelt es sich um einen Schutz- bzw. Abwehrmechanismus, der sich insofern von den anderen Abwehrmechanismen unterscheidet, dass er nicht nur NACH, sondern schon WÄHREND der Traumatisierung eingesetzt wird, um das furchtbare Geschehen seelisch überhaupt überleben zu können. Dissoziation bedeutet „übersetzt“ das Fragmentieren (Zerbrechen) des Erlebens in einzelne Teile, einzelne Sinneseindrücke und das anschließende Abschalten aller oder einzelner Sinneskanäle. D.h. schon während des traumatischen Erlebens reagiert die Psyche zu ihrem Schutz mit Dissoziation. Sie zerlegt das Erleben in Einzelteile und schaltet einzelne bis hin zu allen Sinnes-/Wahrnehmungsbereiche (Kanäle) ab, um das Geschehen erträglicher zu machen. So kann es kommen, dass nach dem Trauma keinerlei oder nur bruchstückhafte Erinnerungen abgerufen werden können (z.B. nur die Geräuschkulisse und die Gerüche, aber keine opt. Eindrücke und keine Körperempfindungen/Schmerzen o.ä.). Der Rest (oder auch die gesamte Erfahrung, bei völligem Abschalten aller Kanäle) versinkt in Amnesie und ist der bewussten Erinnerung nicht zugänglich.

__________________________

Exkurs: Es sind nur solche Gedächtnisinhalte bewusst abrufbar, die im Hippocampus (dem neuzeitlichen ,,bibliothekaren Gedächtnis”) abgespeichert werden. Diese Inhalte können versprachlicht, in eine zeitliche Reihenfolge gebracht bzw. einem ,,Damals” zugeordnet oder/und als reproduzierbare sinnliche Erinnerungen abgerufen werden. Der Hippocampus wird auch ,,kühler Speicher” genannt, weil über die dort gespeicherten Erinnerungen mit relativ geringer emotionaler Beteiligung berichtet werden  kann. Man kann sich das wie einen zersprungenen Spiegel vorstellen, von dem einige der Splitter in den Hippocampus gelangen, der Rest kommt dort nicht an. Das bedeutet aber nicht, dass der Rest nicht gespeichert wird. Er wird allerdings in einem anderen, stammesgeschichtlich älteren Teil, der Amygdala gespeichert. Dort ist das gesamte traumatische Erlebnis mit allen sensorischen und emotionalen Anteilen, d.h. alle Splitter aufbewahrt, jedoch ohne bewussten Zugang.

Diese Erinnerungen können aber durch äußere (und ggf. auch innere) Reize, sog. Trigger, schlagartig aktiviert werden und dann mit voller Wucht hoch brechen. Das nennt man einen Flashback. Wir kennen alle die urplötzlich losbrechenden, extremen Reaktionen der Kids auf scheinbar harmlose Ereignisse /Wahrnehmungen /Reize, z.B. die Schreiattacke wegen einer schnellen Handbewegung, den Panikanfall, der durch einen bestimmten Gegenstand ausgelöst wird, den Wutanfall, der auf eine lieb gemeinte Berührung folgt o.ä..

Diese scheinbar harmlosen Auslöser sind für das entsprechende Kind ein Trigger, der die Erinnerung in der Amygdala auslöst und einen Sturm an Emotionen /Körperempfindungen / inneren Bildern etc. los tritt. Der Unterschied zu einer ,,Hippocampus-Erinnerung" ist, dass sich die ,,Amygdala-Erinnerungen” anfühlen, als würden sie ,,Jetzt und Hier” erlebt  und es für das Kind nicht fühlbar /erkennbar ist, dass die Bedrohung tatsächlich vorbei ist. Das Kind kann keine realistischen raum-zeitlichen Einordnungen vornehmen und so reagiert es so massiv, als ob es erneut  in die traumatische Situation gerät, mit allen Emotionen , Körperreaktionen, etc.. Solch ein Flashback stellt eine Retraumatisierung dar und sollte, so weit dies uns möglich ist, vermieden werden. Die Idee, dass ein Flashback eine kathartische und damit heilsame Wirkung haben kann, hat sich in der therapeutischen Praxis nicht bestätigt. Doch solange die Psyche die unerträglichen Erinnerungen in die Amnesie der Amygdala verbannt, kann es immer wieder passieren, dass sie angetriggert werden und das Kind davon völlig überflutet wird. Deshalb ist es, hirnphysiologisch ausgedrückt, Ziel von Traumatherapie, die Erinnerungen bzw. die Splitter aus der Amygdala in den Hippocampus zu überführen, weil dort gespeicherte Erinnerungen nicht so überflutend, unkontrollierbar und beängstigend sind. Wenn dies gelingt, kann der Traumatisierte eines Tages sagen ,,Damals habe ich.... erlebt. Es war wie es war”, ohne emotional total überwältigt zu werden. Diese Arbeit gehört allerdings in die Hände erfahrener Therapeuten und sollte niemals von den Pflegeeltern versucht werden. Deshalb sollten Pflegeeltern das Kind nicht auffordern von seinen traumatischen Erlebnissen zu erzählen und schon gar nicht nachbohren, um heraus zu finden was das Kind genau erlebt hat. Wenn das Kind allerdings von sich aus zu erzählen beginnt, dann ist es wichtig ihm zuzuhören (ohne weiterführende Fragen zu stellen!) und ihm Verständnis und Mitgefühl zu vermitteln.

Dissoziative Zustände sind allerdings nichts völlig Außergewöhnliches. Sie treten nicht nur bei Traumatisierungen, sondern auch im Alltag auf. Sie sind ein Schutzmechanismus, denn sie helfen, einzelne oder mehrere Sinneskanäle abzuschalten, wenn sich das Gehirn gleichzeitig mit zu vielen Reizen befassen muss.

Beispiel: Wenn man sich sehr auf eine Sache konzentrieren will und es ist sehr unruhig im Umfeld, dann kann es vorkommen, dass man förmlich nichts mehr von dem Geschehen um sich herum wahrnimmt. Oder bei einem Unfall kann es passieren, dass man den Schmerz erst bemerkt, wenn der erste Schreck vorbei ist.

Insofern sind dissoziative Zustände nicht per se als negativ zu bewerten, sondern können, z.B. für eine bessere Konzentration, ausgesprochen hilfreich sein. Auch der erstrebens- werte Zustand des „Flow“ (völlig in eine Tätigkeit versunken sein) ist ein ausgeprägt dissoziativer Zustand.

Dennoch kann es nötig sein solche Zustände zu stoppen, denn sie treten, verbunden mit einem ängstigenden, negativen Erleben, auch dann auf, wenn Erinnerungs-Splitter in der Amygdala ,,angetriggert” werden, sich quasi ein Erinnerungsbild vor die Realität schiebt (auf welches das Kind dann reagiert) und die realen Sinneseindrücke dadurch überlagert bzw. abgeschaltet werden.

In solchen Momenten ist es sinnvoll, den dissoziativen Zustand zu unterbrechen. Dies kann geschehen durch:

- Körperwahrnehmungen ansprechen, z.B. etwas kräftig berühren lassen, das einen sarken Reiz darstellt
- Auffordern, sich auf einen bestimmten z.B. optischen Reiz im Hier und Jetzt zu fokussieren
- Auffordern zu kognitiven Prozessen, z.B. Rechnen, Zählen o.ä.
- Auffordern sich umzuschauen und in Raum + Zeit zu  orientieren (Wer bin ich ? Wo bist Du hier? Welcher Tag ist heute?)              

Manche Traumatisierte beherrschen eigene Dissoziations-Stopps. Z.B. kneifen sie sich oder klopfen wo drauf. Auch selbstverletzendes Verhalten, z.B. Schnippeln oder sich selber schlagen, kann einen Dissoziations-Stopp darstellen. Es lenkt die Aufmerksamkeit von den bedrohlichen, unkontrollierbaren Erinnerungen auf die (kontrollierbare) Körperwahrnehmung. Meist schnippeln sie so lange, bis sie Schmerz spüren, d.h. in ihrem Körper im Hier und Jetzt angekommen sind, und damit die Dissoziation gestoppt haben.

(Anmerkung: Massives selbstverletzendes Verhalten, z.B. das Zufügen stark blutender tiefer Wunden, ist meist kein Dissoziations-Stopp, sondern vermutlich Ausdruck davon, dass die negativen Botschaften des traumatisierenden Täters derart verinnerlicht sind, dass sie immer noch wirken, sog. Täterintrojekt)

Hier endet mein Diskurs zum Thema Dissoziation und wir wenden uns wieder den anderen Folgen von Traumatisierung zu.

----------------------------------------------------------------------------

Alle Abwehrmechanismen sind zum einen der Versuch, die massiven Ängste abzuwehren, zu kontrollieren und zu reduzieren, aber immer auch Signal. Sie zeigen uns, was mit dem Kind passiert ist. So zeigt z.B. ein pseudoautonomes Kind, dass es keine Gelegenheit hatte, eine sichere Bindung einzugehen und positive Abhängigkeit zu erfahren. Ein destruktives Kind zeigt durch seine Zerstörungswut, wie sehr es selbst zerstört wurde. Ein verleugnendes Kind zeigt, dass seine Ängste und Nöte nie wahrgenommen und immer geleugnet wurden, ein sexualisiertes Kind, dass es viel zu früh mit Sexualität überwältigt wurde etc.

Das Erkennen der Abwehrmechanismen hilft, mit dem Kind an seinen Traumata zu arbeiten, denn wenn es gelingt, ihm in einfühlsamen Dialogen, in Selbstgesprächen oder Rollenspielen den Zusammenhang zwischen seinem Trauma und seinem Verhalten (Abwehrmechanismen) deutlich zu machen, kann es beginnen von seinen Erlebnissen Abstand zu nehmen und seine Abwehr nach und nach aufzugeben. Dies ist ein langer und schmerzvoller Weg, der leicht gestört werden kann!

Nur wenn dem Kind erlaubt wird, sich diesem Heilungsprozess ohne äußere Störung zu widmen, kann er gelingen!!!

Die Begleitung dieses Prozesses ist für PE allerdings ein schwieriger Seiltanz, denn das direkte Ansprechen des Traumas kann das Kind völlig überfordern und so müssen wir Wege finden, dem Kind die Zusammenhänge indirekt nahe zu bringen. Solche Wege werde ich im Workshop heute Nachmittag aufzeigen.

Ich erwähnte eben, dass dieser Heilungsprozess nur gelingen kann, wenn dem Kind erlaubt wird, sich ihm ungestört zu widmen. Und damit wären wir auch schon bei unserem letzten Schwerpunkt angekommen, dem Thema Besuchskontakte.

Sie ahnen sicher schon, was jetzt kommt...ein Plädoyer für den Schutz traumatisierter Kinder vor Kontakten mit den früheren Tätern bzw. den nicht schützenden Mitgliedern der Herkunftsfamilie. Ich möchte allerdings nicht gegen Besuchskontakte im allgemeinen plädieren, denn es gibt Pflegekinder, denen regelmäßige Kontakte gut tun und andere, denen sie zumindest nicht schaden. Doch es gibt auch Kinder, die dringend vor Kontakten geschützt werden müssen. Dazu gehören vor allem jene Kinder, die in ihrer Herkunftsfamilie traumatisiert wurden. Ob ein Kind zu dieser Gruppe gezählt werden muss, wird deutlich, wenn folgende Fragen beantwortet werden:

Ist das Kind früher von einem oder mehreren Mitgliedern seiner Herkunftsfamilie  misshandelt, missbraucht, massiv mangelversorgt, prostituiert o.ä. worden oder vor bekannter wiederkehrender Traumatisierung nicht geschützt worden?

  • Ist das Kind vor den Kontakten unruhig oder besonders aggressiv oder ängstlich oder auffällig still?
  • Wehrt/weigert es sich sogar, wenn es zu seinen leiblichen Eltern/Mitgliedern der Herkunftsfamilie gebracht oder von ihnen abgeholt werden soll?
  • Zeigt das Kind Anzeichen einer Angstbindung? (z.B. indem es, überraschend schnell die Nähe zu seinen leiblichen Eltern sucht, obwohl es dem Besuch zuvor ängstlich oder ablehnend entgegen gesehen hat)
  • Erzählt das Kind nach den Kontakten von Erlebnissen, die Sie für bedenklich oder gar gefährdend halten?
  • Ist das Kind nach Kontakten längere Zeit oder besonders intensiv auffällig in seinem Verhalten?
  • Zeigen sich nach unbegleiteten Kontakten (gelegentlich) Misshandlungsspuren oder Hinweise auf sexuellen Missbrauch?

Sollten diese Fragen oder zumindest einige davon mit „Ja“ beantwortet werden müssen, dann kann ziemlich sicher davon ausgegangen werden, dass dieses Kind vor Kontakten mit der Herkunftsfamilie geschützt werden sollte. Und dies aus folgenden Gründen:

Zum einen haben die Kontakte zu der (ehemals) traumatisierenden Herkunftsfamilie einen psychisch und hirnorganisch retraumatisierenden Effekt auf das Kind, zum anderen vertiefen sie vorhandene pathologische Angstbindungen, was sowohl die psycho-emotionalen wie auch die Bindungs-/Beziehungsstörungen des Kindes verschärft.

Ich persönlich sehe noch einen weiteren Grund, weshalb keine Kontakte stattfinden sollten, der jedoch nicht nur mit dem Kind, sondern auch mit den PE zu tun hat:

Der Umgang mit traumatisierenden HE ist für PE emotional und sozial oft äußerst schwierig und bringt die PE in eine Zwickmühle. Denn sie sind (von Seiten des Gesetzgebers und i.d.R. auch vom JA) gehalten, respektvoll und wertschätzend mit HE umzugehen, doch diese verhalten sich häufig so unangenehm, dass klare Grenzsetzungen sinnvoller wären. Besonders heikel wird die Begegnung zwischen PE und HE jedoch in Gegenwart des Kindes. Sind die PE "auftragsgemäß" freundlich und wertschätzend, so kann dies beim Kind große Verwirrung stiften. Zum einen kann es den Eindruck gewinnen, dass die PE nicht wirklich bedingungslos schützend „auf seiner Seite“ stehen, vielleicht sogar die Befürchtung hegen, die beiden Elternpaare könnten "unter einer Decke stecken", was enorme Ängste und einen Vertrauensverlust bewirken würde. Zum anderen könnte das Kind zu der Überzeugung kommen, dass die Taten (oder Unterlassungen) seiner HE von seinen PE akzeptiert werden und deshalb gar nicht wirklich schlimm oder falsch gewesen sein können, obwohl das Kind anders empfindet. Diese ungute Verwirrung des Kindes wäre seiner Entwicklung und auch der Beziehung zu seinen Pflegeeltern nicht zuträglich. Um Verwirrung und Vertrauensverlust des Kindes zu vermeiden, empfehle ich einen zwar höflichen, aber erkennbar distanzierten Umgang mit (ehemals) traumatisierenden Herkunftseltern, der klare Spielregeln vorgibt. Dies gibt dem Kind ein Gefühl der Sicherheit, da es erlebt, dass seine Pflegeeltern auch in Gegenwart der Herkunftsfamilie stets "Herr der Lage" sind.

Ich hatte ja bereits dargestellt, wie entscheidend die Qualität der Bindung für die Entwicklung von Kindern ist und dass die Bindung an misshandelnde, missbrauchende oder anders traumatisierende Eltern als pathogen, d.h. als krankmachend anzusehen ist.

Die immer wiederkehrende Aktivierung der hoch ambivalenten, weil angstbesetzten Bindungswünsche bei den Kindern durch Kontakte zu den Eltern, führt zu einer fortgesetzten Verwirrung des ohnehin bereits geschädigten Bindungsverhaltens. Dies be-/verhindert zum einen die Entwicklung neuer gesunder Bindungs- und Beziehungsmuster und damit den Aufbau neuer,  positiv getönter, sicherer Bindungen in der Pflegefamilie. Zum anderen macht es dem Kind die Welt- und Selbstexploration und damit eine gesunde Entwicklung unmöglich, da diese, wie wir gesehen haben, in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen.

Solche belastenden Kontakte haben jedoch noch eine weitere unerfreuliche Folge: sie nehmen direkten Einfluss auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns. Hier kommen wir nun zu den mannigfaltigen hirnorganischen Folgen frühkindlicher Traumatisierung. Der Zusammenhang zwischen Traumata und Hirnentwicklung sieht folgendermaßen aus, wie die Forschungsergebnisse der Neuropsychologie und der Hirnforschung zeigen:

Wird ein Kind geboren, ist sein Gehirn derart „verdrahtet“, dass es dem Baby allerlei Reflexe und Instinkte zur Verfügung stellt, die ihm das Überleben sichern sollen. Reflexe sind festgelegte Bewegungsmuster, die durch bestimmte Reize automatisch ausgelöst werden, wie z.B. der Saug- und Schluckreflex, der Schreckreflex (Moro-Reflex) oder der Streck- und Beugereflex. Diese frühen Überlebensreflexe werden, wenn es keine Störungen gibt, im Laufe des ersten Lebensjahres integriert/ abgeschlossen, um „höheren“, komplexeren Reflexen Platz zu machen, die den erweiterten Handlungsmöglichkeiten des Kindes angemessen sind. Ist das Gehirn aber, aufgrund wiederholter (lebens)bedrohlicher Erlebnisse, zu der „Überzeugung gekommen“, dass es weiterhin dieser Reflexe bedarf, um das Überleben des Kindes zu sichern, erfolgt keine Integration. Die frühkindlichen Reflexe bleiben bestehen (persistieren) und die komplexeren können sich nicht ausbilden. Dies hat gravierende Folgen auf die Emotionalität und auch auf die Lernfähigkeit des Kindes.

So wird z.B. ein Kind, dessen Moro-Reflex nicht abgeschlossen wurde, auf Alles was es als Schreck erlebt, reflexhaft mit einer heftigen Bewegung der Arme reagieren und zuschlagen. Ein Kind, dessen Streck- und Beugereflex nicht integriert wurde, wird seine Arme und Beine reflexhaft bewegen müssen, sobald sein Kopf beim Hin- und Herblicken die Körpermittellinie überquert. Dies führt nicht nur zu erheblicher Zappeligkeit, es erschwert z.B. auch das Lesen- und Schreibenlernen enorm, denn hierbei muss der Kopf leicht bewegt werden. Diese Bewegung des Kopfes zwingt die Arme und Beine des Kindes, sich zu beugen und zu strecken (was Lesen sehr schwierig und Schreiben unmöglich macht) oder eine enorme Energie und Konzentration aufzubringen, um diese Reflexantwort zu unterdrücken (was die Kapazitäten des Gehirns derart in Anspruch nimmt, dass kaum noch Potential zum Lernen bleibt).

Instinkte sind umfassender als Reflexe. Sie stellen automatisierte Verhaltensmuster dar, die nicht nur eine Abfolge von Bewegungen und/oder Lautäußerungen umfassen, sondern auch die entsprechenden Gefühle. Menschen verfügen über 3 grundlegende Instinkte, die sich in 6 Verhaltens-/Gefühlsmuster aufsplitten:

  • Den Überlebensinstinkt, der folgende Muster umfasst:
  • den direkten Überlebensinstinkt (Vermeidung von Schmerz, Hunger, Durst und entsprechende „Gegenmaßnahmen“, bei Babys Angst und Schreien) und
  • den Sicherheitsinstinkt (Angstprogramm, das Flucht- oder Angriffsverhalten bei drohender Gefahr aktiviert, bei Babys geäußert durch Angstsignale, Schreien und Schutzsuche) umfasst.
  • Den Rudelinstinkt, der sich aus zwei Mustern zusammensetzt:
  • den Gemeinschaftsinstinkt (Suche nach Zugehörigkeit, Angst vor Verstoßen- Werden und Allein-/Einsamsein, bei Babys anhaltendes Schreien bei Verlassen-heitsängsten) und

den Rangordnungsinstinkt (der bei Babys vor allem in dem Wunsch nach starken, beschützenden Eltern zum Ausdruck kommt, denen sich das Kind bedingungslos anvertrauen kann) beinhaltet.

  • den Vergnügungsinstinkt bzw. –trieb, der folgende Muster umfasst:
  • den Genusstrieb (Verlangen nach angenehmen Gefühlen und Körperkontakt) und
  • den Spieltrieb (Verlangen nach Freude und Welt- bzw. Selbsterkundung).

Die Weltwahrnehmung und das Verhalten von Babys ist zu großen Teilen von diesen  fest „verdrahteten“ Instinkten geleitet. Erlebt das Kind angenehme Gefühle, ist mindestens einer seiner Instinkte „davon überzeugt“, dass die Situation dem Überleben dient, erlebt es unangenehme Gefühle, „glaubt“ mindestens einer der Instinkte, das Kind befände sich in (Lebens-)Gefahr. Im Laufe der Jahre werden diese Verarbeitungs- und Reaktionsmuster mit den vom Kind gesammelten Erfahrungen verknüpft und bilden so ganz individuelle Reiz-Reaktionsmuster und Assoziationsketten, die Sinneseindrücke und Körperwahrnehmungen automatisiert mit Emotionen und Verhaltensmustern verbinden. Je öfter diese Muster bzw. Ketten aktiviert und benutzt werden, um so mehr stabilisieren sie sich auf der materiellen Ebene der neuronalen Verknüpfungen. Die Erlebnisse der ersten Lebensjahre sind entscheidend dafür, ob ein Mensch von Urvertrauen und Optimismus getragen, oder von Angst und einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis geprägt ist, wobei die dem zugrundeliegenden Muster unbewusst wirken.

Wird ein Baby z.B. alleingelassen, versetzt dies seinen Sicherheits- und seinen Gemeinschaftsinstinkt sofort in Alarmbereitschaft, das Kind erlebt (Todes)Angst und den starken Wunsch nach Schutz und Geborgenheit. Wird dieser Wunsch nicht erfüllt, wie es z.B. verwahrlosten Kindern oft ergeht, speichert sein emotionales Gedächtnis „Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass sich jemand um mich kümmert, mich versorgt und schützt, also bin ich ständig in Lebensgefahr“ ab. Doch die Verknüpfung kann auch viel komplexer sein, z.B. wenn zwei sich widersprechende Instinkte durch ein Erlebnis aktiviert werden. Wird ein Kind z.B. von seinen Eltern des öfteren verprügelt und allein gelassen, wird sowohl der Überlebensinstinkt (Schmerz-vermeidung und Flucht) wie auch der Gemeinschaftsinstinkt (Zugehörigkeit) aktiviert. Der erste motiviert das Kind, sich von den bedrohlichen Eltern zu entfernen, der zweite, sich ihnen eng anzuschließen (Angstbindung...). In dieser Ambivalenz kann der Gemeinschaftsinstinkt bzw. die damit einhergehende Verlassensangst die Oberhand über die Schmerzvermeidungsmotivation gewinnen und die Prügel – als einzige Art von Zuwendung und damit Zugehörigkeit – als „erstrebenswert“ einstufen. Welche Folgen solch ein hirnorganisch fixiertes emotionales Muster auf das Verhalten des Kindes hat, können wir uns alle lebhaft vorstellen. Diese Muster werden bei Besuchskontakten mit den (damals) als bedrohlich erlebten Eltern massiv aktiviert und graben sich dadurch immer tiefer ins Gehirn ein. Doch damit nicht genug, denn ängstigende und traumatisierende Erfahrungen, insbesondere in den ersten 5 Lebensjahren, haben noch weitere hirnorganische Folgen.

Erlebt ein Kind in seiner Herkunftsfamilie wiederholt massiv ängstigende oder gar traumatisierende Situationen, und empfindet seine Lebenssituation somit als (latent) bedrohlich, so werden Angst und Stress bzw. die neurochemischen Antworten des Gehirns auf Angst und Stress wichtige „Baumeister“ bei der weiteren Entwicklung und Vernetzung seines Gehirns. Eine typische neurochemische Antwort auf Angst/Stress ist eine hohe Konzentration des Stresshormons Cortisol. Diese ruft, vor allem während der empfindlichen ersten fünf Lebensjahre, eine erhöhte Aktivität (=Vernetzungs-intensität) im sog. Locus ceruleus hervor, jener Gehirnstruktur, die für Vorsicht und Wachsamkeit zuständig ist. Dies führt dazu, dass das kindliche Gehirn auf ständige Alarmbereitschaft „programmiert“/verknüpft wird, was wiederum zur Folge hat, dass das Kind (hirnphysiologisch) nur über geringere hemmende Kontrollmechanismen verfügt und durch Schwierigkeiten mit seiner Aufmerksamkeit und seiner Selbstkontrolle auffällt. Man kann sich das etwa so vorstellen, dass das Gehirn dieser Kinder ständig, d.h. auch in nicht bedrohlichen Situationen, damit beschäftigt ist wachsam und alarmbereit zu sein und deshalb nur wenig Kapazitäten für Funktionen wie entspannte Aufmerksamkeit, Konzentration und Selbstkontrolle übrig bleiben. Manche Kinder reagieren auf die erhöhte Stresshormonkonzentration auch mit Rückzug und Erstarrung, ähnlich Menschen mit Depressionen, bei denen sich auch oft ein sehr hoher Cortisol-Spiegel feststellen lässt.

Eine weitere schädigende Folge des ständig erhöhten Stresshormon-Spiegels ist das mangelhafte Wachstum bestimmter Regionen im limbischen System (jener Hirnregion die für Gefühle und auch für Bindungen zuständig ist) und in der Großhirnrinde, welches, bei ausreichend langer Einwirkung, irreversibel ist. Dies bedeutet, dass Kinder, die (z.B. durch häufige belastende Besuchskontakte) dauerhaft retraumatisiert werden, Schädigungen in  Hirnregionen erleiden, die sowohl ihre Beziehungs-/Bindungsfähigkeit wie auch ihre Lernfähigkeit irreparabel beeinträchtigen.

Eine weitere Auswirkung dieser „Alarm-Vernetzung“ ist, dass das Gehirn des Kindes beim kleinsten Anflug von Stress oder Furcht eine neue Welle von Stresshormonen freisetzt. Dies zementiert nicht nur diese ungünstige Vernetzung des Gehirns und auch die Wachstumshemmung immer weiter, sondern führt auch zu Hyperaktivität, Angst und impulsivem Verhalten oder zu erneutem Rückzug und Erstarrung.

Eine sichere Methode der Reaktivierung dieser neurophysiologischen Reaktionsmuster ist die Zusammenführung des Kindes mit den Verursachern seiner Angst- und Stressreaktion, d.h. den Mitgliedern seiner (ehemals) traumatisierenden oder nicht schützenden Herkunftsfamilie. Dies bedeutet, dass im Gehirn des Kindes, jedes Mal, wenn es einen Kontakt zu seinen früheren Bezugspersonen hat, das alte „Alarm-Muster“ massiv aktiviert und gefestigt wird und die daraus resultierenden Schädigungen vertieft werden, selbst wenn keine weitere Traumatisierung durch die Herkunftsfamilie erfolgt! Je öfter also das alte Trauma durch Kontakte zu den damaligen Tätern oder den nicht schützenden Bezugspersonen geweckt wird, und je öfter damit die „alten“ Vernetzungen des Gehirns aktiviert werden, um so mehr graben sich diese in das Gehirn ein und werden langfristig (verhaltens-)bestimmend.

Auch die Schaffung einer neutralen, sicheren Umgebung und die gut gemeinte Begleitung von Kontakten, z.B. durch Mitarbeiter des Jugendamts oder die Pflegeeltern, kann an dem „Gedächtnis des Körpers“, an den automatischen Reaktionsmustern des Gehirns und der daraus resultierenden Verfestigung nichts ändern.

Die Schädlichkeit von Besuchskontakten bemerken PE meist sehr deutlich, denn die meisten traumatisierten Kinder zeigen nach Kontakten häufig massive Verhaltensauffälligkeiten. Dann ist es sehr hilfreich, wenn es den PE gelingt, die darin versteckten Botschaften zu entschlüsseln und dem Kind zu signalisieren, dass sie verstanden haben. Welche Botschaft hinter dem z.T. skurrilen Verhalten stecken könnte, möchte ich an 4 häufig zu beobachtenden Auffälligkeiten beispielhaft aufzeigen. Natürlich lässt sich keine eindeutige Wenn-dann-Beziehung herstellen, denn jedes Kind, jede Herkunftsfamilie, jeder Besuchskontakt ist anders, aber ich möchte einige Denkanstöße geben, die es vielleicht leichter machen, mit dem Verhalten der Pflegekinder nach einem Besuchskontakt umzugehen. Hierbei gehe ich davon aus, dass jede Verhaltensweise, und sei sie auch noch so seltsam, einen Grund und eine Botschaft hat.

Das Kind hortet plötzlich Nahrungsmittel – Vielleicht hat es hat es sich (unbewusst) daran erinnert, wie oft es damals  hungern musste und legt nun einen Vorrat an, um ganz sicher zu gehen, dass ihm das nie wieder passiert. Oder es hat bei dem Besuch erlebt, dass seine Eltern nichts zu Essen im Hause hatten oder erzählt haben, dass sie nur wenig Geld haben. Fühlt es sich aufgrund seines Beziehungsmusters für sie verantwortlich, möchte es sie vielleicht beim nächsten Kontakt mit dem gesammelten Essen versorgen.

Das Kind kotet für eine Weile ein, obwohl es schon sauber war – Vielleicht möchte das Kind zeigen, dass es im Moment lieber wieder ganz klein wäre und jetzt für eine Weile Zuwendung (und evtl. Schutz) wie ein Baby braucht. Es kann aber auch ein Signal sein, dass Erinnerungen an frühere Missbrauchserfahrungen unbewusst aktiviert wurden oder schlimmstenfalls, dass ein erneuter Missbrauch stattgefunden hat.

Das Kind ist den Pflegeeltern gegenüber plötzlich aggressiv und abwehrend oder zerstört mutwillig Sachen – Dieses recht häufig auftretende Verhalten kann diverse Ursachen haben. Vielleicht wollte das Kind gar nicht zu seiner Herkunftsfamilie und ist sauer auf die Pflegeeltern, dass sie es trotzdem hingeschickt haben. Oder es wurde sein "Rambo"-Abwehrmechanismus aktiviert, weil es mit bedrohlichem oder aggressivem Verhalten seiner HE  konfrontiert war bzw. sich (unbewusst) daran erinnert hat. Es kann auch sein, dass das Kind beim Kontakt wieder mit der ihm altbekannten Ablehnung oder Beziehungslosigkeit seiner Herkunftsfamilie konfrontiert war und nun erproben will, ob die Pflegefamilie es auch ablehnt, wenn es nur heftig genug „böse“ ist. Vielleicht fühlt es sich aber auch zwischen den beiden Familien zerrissen und weiß einfach nicht wohin mit seinen Gefühlen.

Das Kind ist völlig überdreht, redet und zappelt ohne Unterlass und schwärmt von seinen „tollen Eltern“ –

Hiermit zeigt das Kind möglicherweise, wie frustrierend oder bedrohlich es den Besuch erlebt hat, aber es kann und will das nicht wahrhaben. Nun versucht es sich und seine Pflegeeltern davon zu überzeugen, dass alles eigentlich ganz anders war, um den Schmerz nicht zulassen zu müssen. Vielleicht möchte das Kind aber auch seine leiblichen Eltern in einem besonders guten Licht darstellen, weil es spürt, dass seine Pflegeeltern nicht viel von ihnen halten und es aus dem Loyalitätskonflikt herauskommen will.

Diese Auflistung ließe sich noch weiter fortsetzen, aber ich denke, es ist bereits deutlich geworden, dass die Kinder immer einen guten Grund für ihr sonderbares Betragen haben. Gelingt es den PE, die Botschaft ihres Verhaltens zu entschlüsseln und ihnen zu signalisieren, dass sie verstanden haben, ist viel gewonnen. Strafen oder Ignorieren kann bewirken, dass das auffällige Verhalten lange andauert, weil die Botschaft nicht angenommen wurde und die Kinder mit „immer mehr von dem Gleichen“ versuchen, verständlich zu machen, was sie eigentlich ausdrücken wollten.

Doch selbst, wenn es den PE gelingt, das Verhalten zu verstehen und sie einfühlsam auf das Kind eingehen, bleibt es nicht von den o.g. emotionalen und hirnorganischen Folgen verschont. Der einzige wirklich wirksame Schutz, ist das Unterbinden jeglicher Kontakte!

Nur wenn das Kind, ggf. jahrelang, ungestört andere Erfahrungen machen und dadurch neue Muster erleben und „einschleifen“ kann, können wir hoffen, dass sich das Gehirn eines traumatisierten Kindes im Laufe der Jahre wandelt und ihm so erlaubt, angemessener auf die Welt zu reagieren. Wird dem Kind dies nicht ermöglicht, so bleiben die frühkindlich geprägten „Alarm-Muster“ vorherrschend und bestimmen auch noch im Erwachsenenalter seine Weltwahrnehmung und seine Verhaltenssteuerung!

Das Risiko für diese Menschen, eine psychischen Erkrankung zu entwickeln oder ein durch Ängste, Aggressionen, Depressionen oder soziale Auffälligkeiten eingeschränktes Leben führen zu müssen, ist um einiges höher als beim Durchschnitt der Bevölkerung.

Nun höre ich immer wieder das Argument, Kinder bräuchten zur Herausbildung einer starken Identität die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunftsfamilie, egal wie traumatisierend diese auch immer war. Sollten Sie jemals mit dieser Begründung für die Durchführung von Besuchskontakten konfrontiert sein, ist es hilfreich zu wissen, dass sie auf einem tiefgreifenden Missverständnis psychologischer Notwendigkeiten beruht und durch keinerlei Forschung abgesichert ist.

Es stimmt zwar, dass Menschen ihre Herkunft begreifen wollen, sozusagen nach ihren Wurzeln suchen und dass Kinder und Jugendliche dabei Hilfe brauchen. Es stimmt aber definitiv nicht, dass diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte nur in Form der realen Konfrontation mit den zu dieser Geschichte gehörenden Personen vor sich gehen kann! Dies ist eine durch nichts zu belegende Idee, die meist nur allgemein durch den angeblich notwendigen Erhalt des familialen Systems begründet wird, ohne Rücksicht auf die destruktiven Auswirkungen auf die Kinder.

Keinem Traumatherapeuten würde es einfallen, Gewaltopfer immer wieder mit ihren Peinigern persönlich zu konfrontieren, um ihnen dadurch eine Aufarbeitung dieser Erfahrungen zu ermöglichen. Im Gegenteil! Die Psychotherapieforschung belegt, dass die Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen nur möglich ist, wenn eine sichere emotionale, aber auch zeitliche und räumliche Distanz zu diesen Erlebnissen und den daran beteiligten Personen geschaffen wird und der Beistand eines Menschen gewährleistet ist, der eindeutig und verlässlich auf Seiten des Patienten steht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte findet eben nicht im fortgesetzten Umgang mit den damaligen Akteuren und im (Wieder)Erleben statt!

Sie kann nur in einem als therapeutisch zu wertenden Prozess stattfinden, in dem eine allmähliche Wahrnehmung, Unterscheidung und Neuzuordnung positiver und negativer Gefühle möglich gemacht wird. Entwicklungspsychologisch ausgedrückt bedeutet dies, dass die Auseinandersetzung mit traumatisierenden Erfahrungen voraussetzt, dass sich das einmal oder mehrfach überwältigte Ich nicht mehr real bedroht fühlt und dass es genügend Sicherheit in der Distanz und in einer haltgebenden Beziehung hat, um sich den angstauslösenden Erfahrungen in der Erinnerung oder auch in der Übertragung aussetzen zu können.

Wie langwierig und schwierig solche Prozesse auch ohne störende Einflüsse sind, wissen Pflegeeltern und Therapeuten nur zu gut.

Dass eine Rückführung zu den damals traumatisierenden Eltern eine massive Kindeswohlverletzung darstellen würde, liegt auf der Hand. Nicht so klar ist vielen Menschen, auch Fachkräften, dass auch eine sich lang hinziehende Perspektiv-entscheidung über die Dauerhaftigkeit der Unterbringung gravierende Folgen auf die kindliche Entwicklung hat. Solange das Kind nicht weiß, ob es dauerhaft in dem beschützenden Rahmen seiner Pflegefamilie bleiben darf, oder ob es nicht doch eines Tages in das bedrohliche und angstmachende Umfeld seiner Herkunftsfamilie zurückkehren muss, kann es in seiner Entwicklung nicht voran kommen. Die latente Angst und Unsicherheit blockiert nicht nur seine Konzentrations- und Lernfähigkeit, auch die sozial-emotionale Entwicklung stagniert. Deshalb möchte ich an alle hier anwesenden Fachkräfte appellieren, sehr frühzeitig eine eindeutige und unumkehrbare Entscheidung für den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegestelle zu treffen und niemals eine Rückführung ins Auge zu fassen!

Ich denke, es ist sehr deutlich geworden, weshalb wir uns alle dafür einsetzen sollten, traumatisierte Pflegekinder vor Besuchskontakten mit (und erst recht vor Rückführungen zu) ihren damaligen Peinigern und den nicht schützenden Bezugspersonen zu bewahren (selbst wenn sich diese zum Besseren gewandelt haben): Nur so kann den Kindern bzw. ihren Gehirnen die Chance gegeben werden, ihre pathologischen Reaktionsmuster ab- und angemessene Muster aufzubauen.

Ich möchte meinen Vortrag mit der Frage beenden "Was brauchen Kinder aus traumatisierenden Herkunftsfamilien?"

Das Dringendste, was diese Kinder brauchen ist Schutz vor weiterer Traumatisierung. Leben sie noch in ihrer Herkunftsfamilie, heißt dies, dass sie so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden müssen, sobald ihre schädigende Lebenssituation offenbar wird. Obwohl dies eigentlich auf der Hand liegt, ist es leider nicht die Regel, denn es bedeutet, die Kinder von ihrer Herkunftsfamilie zu trennen, um sie in ein Umfeld zu bringen, in dem sie vor weiteren schädigenden Erfahrungen geschützt sind. Wir wissen alle, dass dies nur sehr selten das Erste ist, was Jugendämter tun, wenn sie von einem Kind mit belastendem familiärem Hintergrund erfahren. Meist dauert es quälend lange, bis die Entscheidung fällt, dass Kind durch eine Herausnahme wirksam zu schützen. Dies liegt zwar leider z.T. in unserer Gesetzgebung begründet, aber immer wieder auch in der falschen Überzeugung, eine schlechte leibliche Familie sei immer noch besser als eine Pflegefamilie.

Ist das Kind bereits (oder dann) außerhalb seiner Herkunftsfamilie untergebracht, braucht es zunächst die bedingungslose Annahme in seinem momentanen So-Sein und  individuell angemessene Beziehungs- bzw. Bindungsangebote. Darüber hinaus benötigt es für eine positive Entwicklung verständnisvolle, aber nicht überfordernde Zuwendung durch konstante und verlässliche Bezugspersonen, überschaubare und berechenbare Strukturen, Abläufe und Regeln, Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und ausreichend Zeit und Ruhe zum ungestörten Sammeln und zum hirnphysiologischen Verankern korrigierender Erfahrungen. Prof. Eberhardt, den vielleicht einige von Ihnen kennen, hat die Bedürfnisse der Kinder in drei Worten auf den Punkt gebracht: Liebe, Ruhe, Stetigkeit. Dem ist nichts mehr hinzu zu fügen.

---------------------------------------------------

Skript zum Workshop

Heilsamer Umgang mit traumatisierten Pflegekindern im Alltag

Ich hatte im Vortrag dargestellt, dass traumatisierte Kinder Abwehrmechanismen einsetzen, um ihre Ängste zu mildern bzw. zu kontrollieren und im Alltag halbwegs "normal" leben zu können. Nun stellen sich zwei Fragen:

  • Wann werden Pflegeeltern mit diesen inneren Prozessen, die sich in auffälligem Verhalten ausdrücken, konfrontiert?
  • Und wie können wir darauf reagieren?

Um die erste Frage beantworten zu können, berichte ich über die typische Entwicklung von Pflegeverhältnissen:

 

Es gibt drei Phasen, die unterschiedlich lang sind. Die erste Phase ist:

Die Anpassungsphase: Nach der Aufnahme in eine Pflegefamilie oder –stelle und Tage, Wochen bis Monate später befindet sich das Kind in der Anpassungsphase. Hier checkt es zunächst ab, wo es hingeraten ist, wie die Menschen so drauf sind, ob es vor diesen konkreten Menschen Angst haben muss, ob es sich sicher fühlen kann, wie die Regeln sind, wer ihm welche Beziehung anbietet, etc. In dieser Phase ist es meist brav und angepasst und geht kein Risiko ein. Oft lassen sich schon die Abwehrmechanismus-Muster erkennen (z.B. will ein pseudoautonomes Kind alles alleine machen, oder ein Kind mit Totstell-Reflex fällt in scheinbar bedrohlichen Situationen in eine Starre, oder ein "flüchtendes" Kind zappelt und hampelt ständig u.ä.), aber das Kind ist offensichtlich bemüht nicht anzuecken und versucht sich gut in die Familie einzufügen. Wenn es beginnt sich sicherer zu fühlen, Vertrauen zu fassen und erste Beziehungen einzugehen, beginnt die zweite Phase.

Die Übertragungsphase: Dies ist die schwierigste Phase für alle Beteiligten, denn nun beginnt das Kind seine alten traumatischen Erfahrungen und die damit verbundenen negativen Erwartungen und Ängste auf seine neuen Bezugspersonen zu übertragen. D.h. es "verwechselt" die neuen Eltern mit den alten und benimmt sich so, als ob es auch in der Pflegestelle mit Bedrohung, Misshandlung, Missbrauch, Mangelversorgung etc. rechnen muss. Nun kommen die Abwehrmechanismen voll zum "Ausbruch". Das Kind unterstellt den Pflegeeltern (z.T. unbewusst, z.T. aber auch bewusst verbal) das Verhalten der leiblichen Eltern und (re)agiert heftig auf die vermeintliche Wiederholung seiner traumatischen Erfahrungen. Die Verwechslung mit den leiblichen Eltern kann so total sein, dass dem Kind (in seiner Wahrnehmung) tatsächlich nicht die neuen, sondern die leiblichen Eltern gegenüber stehen. Das Verhalten des Kindes scheint darauf abzuzielen, die alten Erfahrungen zu wiederholen, d.h. die Pflegeeltern dazu zu bringen, sich wie die alten Eltern zu verhalten. Im Zustand der Übertragung kann

- ein sexuell missbrauchtes Kind beginnen, den Pflegevater mehr oder weniger direkt zu sexuellen Handlungen aufzufordern,
- ein schwer misshandeltes Kind, das eigentlich schreckliche Angst hat wieder verprügelt zu werden, die Pflegeeltern extrem reizen und provozieren,
- ein verwahrlostes, unterversorgtes Kind Nahrungsmittel horten oder angebotenes Essen angewidert zurückweisen und /oder den Pflegeeltern vorwerfen bzw. überall herum erzählen, sie würden es immer hungern lassen,
- ein Kind, dass viel Verantwortung tragen musste, das "Management" der Familie an sich reißen wollen, sich nichts sagen lassen und um die Mutterrolle kämpfen,
- ein verlassenes Kind sich ständig an die Pflegeeltern klammern, um ihre vermeintliche Absicht fortzugehen, zu verhindern oder den Pflegeeltern vorwerfen, sie würden es          ständig allein lassen oder schreiend jede Umarmung abwehren, weil ihm diese Nähe Angst macht, u.s.f.

Kinder die vielfach traumatisiert wurden, zeigen eine wilde Mischung unterschiedlicher Übertragungsmuster, was die Lage nicht grade erleichtert....

Oft erscheint das Verhalten des Kindes unangemessen und fehl am Platze, weil es ja nicht auf die realen, sondern auf (unbewusst) erinnerte Situationen reagiert. Solche sog. Übertragungen lösen im Gegenüber, also i.d.R. in den Pflegeeltern, eine emotionale Reaktion aus, die Gegenübertragung genannt wird.

Diese emotionale Reaktion kann, wenn sie nicht reflektiert wird, dazu führen, dass es das Kind "schafft" die Pflegeeltern dazu zu bringen, ähnlich wie die leiblichen Eltern zu fühlen und zu (re)agieren, z.B. wütend zu werden und das provozierende Kind wirklich zu schlagen, das klammernde Kind tatsächlich völlig genervt fort zustoßen und Distanz zu ihm zu suchen, dem um Verantwortung kämpfenden Kind tatsächlich zuviel Verantwortung zu überlassen, fatalerweise sogar das missbrauchte Kind mit Lolita-Gehabe erneut zu missbrauchen, weil es dies ja scheinbar so will...etc.

Geschieht dies, entsteht die ungewollte Reinszenierung der Erfahrungen des Kindes und damit eine Retraumatisierung. Die Ängste und damit die Abwehrmechanismen werden verfestigt, die Gefahr, dass sich das daraus resultierende auffällige Verhalten chronifiziert ist groß.

Zum Glück kommt es für die meisten Pflegeltern nicht in Frage, sich tatsächlich so zu verhalten wie die erziehungsunfähigen leiblichen Eltern, selbst wenn wir im Zustand der Gegenübertragung z.T. derart unangenehmen Gefühlen ausgesetzt sind, dass wir gelegentlich entsprechende Impulse verspüren.

Die Gegenübertragung bietet jedoch noch eine weitere Herausforderung, denn sie kann in den Pflegeeltern auch Emotionen auslösen, die nicht denen der leiblichen Eltern, sondern den Gefühlen des Kindes ähneln. Hier überträgt das Kind durch sein Verhalten seine eigenen Gefühle auf sein Gegenüber. So kann

- ein aggressives "Monster-Kind", das versucht, seine Angst zu beherrschen, indem es sich als King-Kong aufspielt, um so mächtig zu erscheinen, dass sich keiner mehr an es heran traut, in den Pflegeeltern Angst auslösen,
- ein missbrauchtes Kind kann Ekelgefühle hervorrufen,
- ein pseudoautonomes Kind Überforderungsgefühle und
- ein verlassenes Kind Gefühle der Trauer und Einsamkeit auslösen etc.

Wird dies nicht erkannt und reflektiert und erleben die Pflegeeltern diese unguten Emotionen als ihre ganz eigenen Gefühle. So ist es möglich, dass die Pflegeeltern ihrerseits Abwehrmechanismen entwickeln, um diesen unangenehmen Gefühlen nicht länger ausgesetzt zu sein.  Eine Folge davon kann sein, dass die Pflegeeltern beginnen das "verursachende" Kind abzuwehren, abzulehnen.

Dies hat natürlich zur Folge, dass sich das Verhalten des Kindes verstärkt, denn es versucht nun mit "noch mehr von dem Gleichen" (es hat ja aufgrund seiner inneren Struktur nicht viele Wahlmöglichkeiten) sein eigentliches Ziel zu erreichen. Dies kann sich in einem Kreislauf so verstärken, dass Pflegeeltern und Kind in Hilflosigkeit, Wut und Abwehrmechanismen verstrickt bleiben und die Gefahr einer Retraumatisierung entsteht.

Das Schwierige an dem Übertragungs-Gegenübertragungsprozess ist die subjektive Echtheit der damit verbundenen Gefühle, sowohl bei den Pflegeeltern wie auch beim Kind. Das Kind erlebt in der Übertragung seine Gefühle als ebenso authentisch wie die Pflegeeltern die ihren im Zustand der Gegenübertragung. Die Verantwortung, aus diesem Dilemma Auswege anzubieten, liegt natürlich bei den Erwachsenen, da nur sie die Fähigkeit besitzen eigenständig zu reflektieren und sich so von ihrem Gefühlswirrwarr zu distanzieren. Dies ist den meisten von uns Pflegeltern auch klar, aber dennoch stellen sich uns immer wieder die Fragen:

Warum tun die Kinder das? Warum streben sie scheinbar nach der Reinszenierung ihrer schlimmen Erlebnisse? Was ist ihr eigentliches Ziel? Wollen sie wirklich alles immer wieder erleben?

NEIN! Sie wollen nicht die reale Erfahrung wieder erleben, sie wollen:

- mit den Gefühlen, die mit ihren traumatischen Erlebnissen zusammen hängen, Schritt für Schritt in Kontakt kommen
- in der neuen beschützenden Lebenssituation bestätigt bekommen, dass ihre negativen Gefühle den schrecklichen Erfahrungen angemessen waren und sie nicht verrückt oder schlecht sind
- zeigen, was ihnen zugestoßen ist (und was sie noch nicht in Worte kleiden können)
- korrigierende Erfahrungen machen, denn sie hoffen insgeheim, dass die Pflegeeltern ihre indirekten Botschaften verstehen und eben nicht so (re)agieren, wie die leiblichen Eltern.

Mit ihrem auffälligen Verhalten erzählen uns die Kinder von sich und auch unsere eigenen emotionalen Reaktionen darauf (Gegenübertragung) können eine sehr wertvolle Informationsquelle sein!!!

Dies ist nun die gute Nachricht:
Gegenübertragungen können sehr effektive Hilfsmittel sein, für unseren Versuch, unsere Kinder zu verstehen!! Sie lassen uns spüren, wie das Kind die leiblichen Eltern erlebt hat (wenn es in uns Gefühle aktiviert, die denen der leiblichen Eltern ähneln) und sie zeigen uns, wie sich das Kind gefühlt hat (wenn wir in der Gegenübertragung in seiner Gefühlswelt "versinken").

Wenn es uns gelingt, in dieser Phase (die durchaus jahrelang dauern kann...)
1. so reflektiert zu bleiben, dass wir das Verhalten des Kindes als Botschaft verstehen,
2. Distanz zu unseren Gefühlen herzustellen und
3. diese als Auswirkung der Gegenübertragung zu entlarven und ihnen
4. ihren Informationsgehalt zu entlocken ....dann sind wir gut dran.

Dann können wir dem Kind wirklich helfen sein Trauma zu verarbeiten, ohne dabei selber "traumatisiert" zu werden. Aber, wie wir alle wissen, ist es unglaublich schwer, im Alltag ständig eine so reflektierte Haltung einzunehmen und immer ausreichend Distanz zu den eigenen Gefühlen zu wahren, in der es uns möglich wäre, die echten eigenen Gefühle von Gegenübertragungen zu unterscheiden. Hier ist der Austausch mit anderen versierten Pflegeeltern oder Supervision gefragt, um sich wenigstens zwischendurch immer wieder diese Mechanismen in Erinnerung zu rufen, das Geschehen in der Familie (und im eigenen Inneren...) daraufhin zu beleuchten und das eigene Verhalten ggf. zu korrigieren.

Ich empfehle auch das Aufhängen von kleinen Zetteln überall in der Wohnung, die immer wieder daran erinnern, dass wir sowohl den Übertragungen des Kindes, wie auch unseren Gegenübertragungen doch eigentlich die Botschaft entlocken wollen. Dies kann helfen, es im Alltag nicht immer wieder zu vergessen.

Der Umgang mit Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen ist eine der aller schwierigsten Aufgaben von Pflegeeltern! Wenn es gelingt, diese von Grundgedanken her als positive und informative Prozesse zu betrachten, dann ist schon sehr viel gewonnen!! Leider erleben wir diese aber oft als belastend (was sie auch unbestreitbar sind...) und als Merkmal einer Fehlentwicklung.

Dann ist es wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass
- der Beginn dieser Phase ein Vertrauensbeweis des Kindes ist, denn ohne Vertrauen gibt es keine Übertragung,
- uns das Kind auf diese Weise etwas mitteilen möchte, auch wenn wir oft nicht auf Anhieb verstehen, was das ist,
- unsere gefühlsmäßigen Reaktionen darauf ebenfalls Botschaften für uns sind, die uns etwas mitteilen können (auch wenn sie sich so unangenehm anfühlen, dass wir sie an liebsten abschalten würden...)
- diese Phase enden wird, und zwar um so schneller, je besser wir die Botschaften verstehen und übersetzen und so dem Kind helfen, sein Trauma zu bearbeiten. Dann wird es eines Tages mit seinen Übertragungen aufhören, weil es verstanden wurde.

Hier stellt sich natürlich die Frage:

Was können Pflegeeltern im Alltag konkret tun?

Hilfreiche Reaktionen von Pflegeeltern auf Übertragungen bzw. Reinszenierungen können sein:

a) mit anderem, als von dem Kind erwarteten Verhalten überraschen,

b) dem Kind deutlich machen, was gerade wirklich passiert, ist, fragen wie es die Situation erlebt hat und ggf. ganz vorsichtig eine Verbindung zum Trauma herstellen,

c) einen sog. verständnisvollen Dialog oder ein Selbstgespräch führen (s.u.),

d) Verständnis zeigen für das Bedürfnis, der damals wirklich schlimmen Situation heute einen anderen Ausgang zu verschaffen,

d) Verständnis zeigen, dass das Kind die Zusammenhänge heute noch nicht selber erkennen kann, sondern nur einfach ausagiert,

e) vermitteln, dass man bereit ist, sich sein ,,Schreckliches” vorzustellen, es auszuhalten und mit zutragen,

f) Kampf- oder Rollenspiele (ggf. mit Handpuppen) darüber spielen.

Wenn es dann gelungen ist, dem Kind (und uns) durch diese schwierige Zeit hindurch zu helfen, es zu verstehen, es nicht zu retraumatisieren und ihm trotz aller Stolpersteine auf dem gemeinsamen Weg genug Sicherheit zu vermitteln, dann kann es nun beginnen eine echte Beziehung, ja vielleicht sogar eine sichere Bindung aufzubauen. Hiermit beginnt die dritte Phase...

Die Regressionsphase: Nachdem wir nun dachten, es sei überstanden und das Kind würde sich nun prima entwickeln, beginnt es erneut mit merkwürdigem, meist nicht alters-angemessenem Verhalten. Diesmal hat es den Anschein, als ob das Kind Rückschritte machen und plötzlich in seiner Entwicklung auf frühe Stadien zurückfallen würde. Dies nennt man Regression. Diese Phase dauert meist nicht sooo lang und hat zum Inhalt, dass das Kind mit uns eine neue, gelungene Variante seiner frühen Kindheit durchspielen möchte. Es will ganz Kind dieser Familie werden, wenigstens symbolisch erleben, wie es wäre, wenn es hier Baby gewesen wäre.

In dieser Phase lieben es viele Kinder unter den Pullover der Pflegemutter zu kriechen und "Geburt" zu spielen, Fläschchen zu trinken, sich herum schleppen zu lassen, mit der Mutter in enge Höhlen zu kriechen und gaaaanz viel Nähe zu tanken, manche Kinder verfallen in Baby- oder Kleinkindsprache, beginnen wieder in die Hose zu machen, aus dem Fläschchen zu trinken oder mit dem Essen herum zu schmieren etc.

Wenn die Übertragungsphase zu diesem Zeitpunkt erfolgreich abgeschlossen ist, kann dies eine sehr schöne, nahe Zeit sein, wenn sich die Pflegeeltern darauf einlassen und sich bewusst sind, dass auch diese Phase vorbei geht und das Kind anschließend an seinen bereits erworbenen Entwicklungsstand anknüpfen wird, um dann rasante Fortschritte zu machen. Verläuft diese Phase positiv, dann verinnerlicht das Kind die Werte und Normen der Pflegefamilie und wird "psychologisches" Kind der Familie.

Jedoch nicht alle Kinder durchlaufen diese Phasen brav hintereinander. Bei manchen treten Übertragungs- und Regressionsphase auch parallel auf, sodass das Kind im einen Moment das provozierende "Monster" ist, im nächsten Moment als das nähesuchende Baby unter den Pullover der Pflegemutter kriechen möchte. Dies ist dann eine ganz besondere Herausforderung für die Pflegeeltern....

Was tun?

Was fangen wir nun an mit diesem Wissen? Wie können Pflegeeltern mit einem Kind im Alltag umgehen, das seine belastenden Erfahrungen auf sie überträgt und damit ein ziemliches Gefühlswirrwarr in ihnen auslöst? Wie helfen wir ihm (und uns), diese Zeit möglichst gut und schnell zu überstehen und gleichzeitig seine Traumata zu bearbeiten, ohne es durch allzu forsches Vorgehen ggf. zu retraumatisieren?

Wir haben bereits erfahren, dass ein traumatisiertes Kind mit der Übertragung und mit den Abwehrmechanismen aufhören können, wenn es

- sicher ist, dass es verstanden wurde,
- den Zusammenhang zwischen seinem Verhalten / seinen Gefühlen und den Erfahrungen mit den leiblichen Eltern in Verbindung bringen und so selber verstehen kann, warum  es ist, wie es ist bzw. tut was es tut,
- glaubwürdig gespiegelt bekommt, dass es selbst, seine Gefühle und seine Reaktionen in Ordnung  waren (d.h. den schlimmen Erfahrungen angemessen) und
- es erkennt, dass es nicht "verrückt" ist, sondern dass die Welt, in der es damals lebte, "verrückt" war/ist.

Dies zeigt uns, wie wichtig es ist, die Botschaften des Kindes zu verstehen, quasi zu entschlüsseln und ihm dies zurück zu spiegeln. So kann ihm die Möglichkeit gegeben werden, einen Zusammenhang zwischen seinem jetzigen So-Sein und den Traumata seiner Vergangenheit herzustellen. Außerdem ist es wichtig, dabei eindeutig auf der Seite des Kindes zu stehen, indem dem Kind vermittelt wird, dass seine Art, mit der traumatisierenden Situation umzugehen, verständlich und angemessen war bzw. ist und dass es einen wirklich guten Grund hat(te), sich so zu verhalten bzw. so zu fühlen.

Damit kommen wir zum "Konzept des guten Grundes". Es besagt, dass jedes auffällige Verhalten, insbesondere das von traumatisierten Kindern, einen guten Grund hat. Kein Kind verhält sich unangepasst, nur um z.B. die Pflegeeltern zu ärgern, sondern es will mit seinem Verhalten etwas über sich und seine Geschichte mitteilen. Da es seine Erlebnisse meist nicht in Worte kleiden kann, teilt es sich durch sein Verhalten mit. So könnte....

- ein verwahrlostes Kind, dass oft mangelernährt war, versuchen zu „erzählen", dass es früher hungern musste, indem es das Essen der Pflegemutter zurückweist oder heimlich hortet oder überall herumerzählt, dass es bei den Pflegeeltern nichts zu essen bekommt.
- ein misshandeltes Kind versuchen mitzuteilen, dass es früher misshandelt wurde und noch heute Angst davor hat, geschlagen zu werden, indem es z.B. auf schnelle Hand-bewegungen mit Schreianfällen reagiert oder den Hund quält oder andere Kinder verprügelt oder herum erzählt, es würde von den Pflegeeltern geschlagen.
- ein Kind, das ständig extrem zappelig und nicht zur Ruhe zu bringen ist, versuchen zu zeigen, dass seine Gefühle und Erinnerungen so quälend sind, dass es sich ständig ablenken muss, um nicht davon überwältigt zu werden.
- ein Kind, das von seinen leiblichen Eltern schwärmt, obwohl bekannt ist, dass es von ihnen schwer traumatisiert wurde, auf diesem Weg mitteilen, dass seine Erlebnisse so schrecklich waren, dass es sie überhaupt nicht zugeben darf, weil es unter der Last der Erinnerungen zusammenbrechen würde.
- ein Kind, das dazu neigt, sich selber schlecht zu machen und stets ein sehr negatives Selbstbild zeigt, auf diese Weise "sagen", dass sein Weg zu überleben war, den leib-lichen Eltern in ihrer Meinung über das "missratene" Kind zuzustimmen und alle Schuld auf sich zu nehmen und dass es große Angst vor den Folgen hat, wenn es diese Strategie jetzt aufgibt.
- ein Kind, das ständig Sachen zerstört oder achtlos in die Ecke schmeißt, "erzählen", wie sehr es selbst zerstört und wie achtlos mit ihm umgegangen wurde.

Diese Beispiele ließen sich noch weiter fortsetzen, der Grundgedanke ist vermutlich bereits deutlich geworden. Erleben wir nun solches Verhalten, ist es sehr hilfreich für die Traumaverarbeitung, wenn es gelingt, dem Kind bei der "Übersetzung", der Entschlüsselung seines Verhaltens zu helfen.

Das Kind verhält sich ja nicht berechnend, d.h. es denkt sich ja nicht "Nun verhalte ich mich mal so und so und teile damit dies und das mit. Mal sehen, ob die kapieren, was ich meine..." Nein, das Kind weiß i.d.R. selber nicht, weshalb es dies Verhalten zeigt und was sich dadurch ausdrückt. Gelingt es nun, gemeinsam mit dem Kind herauszufinden, welche Erfahrungen hinter dem Verhalten stehen und was es antreibt sich so unangemessen zu benehmen, dann bekommt das Kind die Chance, sich selber zu verstehen, sich von seinem Verhalten zu distanzieren, es einzuordnen und dann aufzugeben.

Wird sein Verhalten jedoch nur sanktioniert und damit ggf. unterdrückt, wird es selber niemals verstehen, weshalb es solche Impulse hat (die es ggf. lernt nicht auszuleben, die aber deshalb nicht verschwunden sind) und kann sie dem entsprechend auch nicht einordnen und aufgeben. Sie kommen dann mit großer Wahrscheinlichkeit auf andere Art oder zu anderer Zeit wieder zum Vorschein und bringen neue Auffälligkeiten und Störungen mit sich.

Wie können Pflegeeltern ihrem Pflegekind ganz konkret helfen, sein Verhalten zu "übersetzen"?

Eine durchaus praktikable Möglichkeit ist der sog. "verständnisvolle Dialog". In solch einem Dialog wird dem Kind zunächst mitgeteilt, dass man davon ausgeht, es habe einen sehr guten Grund für sein Verhalten hat und dass man nicht böse auf das Kind ist, sondern Verständnis aufbringt. Gelingt es Pflegeeltern tatsächlich, solch eine Grundhaltung einzunehmen, ist es für sie viel einfacher, sich von auffälligem Verhalten nicht angegriffen zu fühlen, sondern Abstand zu nehmen und gelassen zu reagieren.

Der zweite Schritt des verständnisvollen Dialogs besteht darin, einen für das Kind nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen seinem heutigen Verhalten und seinen früheren traumatischen Erfahrungen herzustellen, damit es erkennen kann, weshalb es so agiert und im Laufe der Zeit Abstand davon nehmen kann.

Denn erst wenn das Kind Zugang zu seinen Emotionen, insbesondere zu seinen Ängsten findet, wird es ihm gelingen, seine Abwehrmechanismen und damit auch sein auffälliges Verhalten aufzugeben.

Für uns Pflegeeltern ist es schwierig, stets mit solch einer Grundhaltung zu reagieren, aber es wird etwas leichter, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass das Kind zurecht total wütend auf Erwachsene ist, seine Abwehrmechanismen eine sinnvolle, ja z.T. überlebens-notwendige Reaktion auf "verrückte" Lebensumstände waren, dass seine Ängste und scheinbar "verrückten" Verhaltensweisen eine völlig angemessene und verständliche Folge seiner Erfahrungen sind und dass sein Gehirn durch diese Erfahrungen derart geformt wurde, dass es zunächst gar nicht anders agieren kann, selbst wenn es wollte.

Gestehen wir dies dem Kind aus tiefstem Herzen zu, dann ist es einfacher, sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen und nicht selber mit Abwehr (Gegenübertragung...!) zu reagieren, wenn das Kind mal wieder versucht, uns durch auffälliges Verhalten etwas über sich zu erzählen.

Nehmen wir mal an, es gelingt, einen verständnisvollen Dialog mit dieser Grundhaltung zu führen. Wie könnte der aussehen? Und wie unterscheidet er sich von "normalem" konsequentem pädagogischem Vorgehen? Ich zeige dies beispielhaft an zwei Varianten auf.

Nehmen wir als Beispiel die Situation, dass ein Kind total austickt, rumschreit, beleidigend wird, vielleicht sogar schlägt/beißt/tritt, weil ihm etwas versagt wurde,  z.B. die Schokolade vor dem Mittagessen....

1. Die "pädagogische" Variante:

Kind (freundlich): Wo ist die Schokolade?
PM: Es gibt jetzt keine Schokolade. Das Essen ist gleich fertig.
Kind (energisch): Ich will aber !!!!
PM: Nein, jetzt nicht. Wenn du dein Mittagessen aufgegessen hast, dann darfst du ein Stück.
Kind (betont energisch): Ich will aber JETZT !!!!
PM: Nein, nachher....
Kind (schon deutlich lauter): Du blöde Kuh! Nie bekomme ich was von dir ! Du bist sooooooo gemein! (Tritt gegen den Küchenschrank)
PM (auch schon etwas lauter): Also, mein Lieber...so schon gar nicht! Erst nach dem Essen. Basta !!!
Kind (tickt allmählich aus und kreischt laut): Äääähhhh!!!!! Ich will aber jetzt!!!!!! Gib mir die Schokolade, du blöde Ziege!!! (Schlägt nach der PM und guckt hasserfüllt)
PM (streng und laut): Jetzt reicht es. Schluss mit dem Theater. Ich lasse mich doch von dir nicht beschimpfen und auch nicht schlagen!!! Du gehst jetzt bis zum Mittagessen in dein Zimmer und beruhigst dich. Danach entschuldigst du dich bei mir für dein Betragen! Sonst gibt es auch nach dem Essen keine Schokolade!!!
Kind (etwas eingeschüchtert, aber trotzig): Du bist blöd!
Stampft die Treppe rauf und knallt die Tür zu.

2. Ein verständnisvoller Dialog
Kind (freundlich)
: Wo ist die Schokolade?
PM: Es gibt jetzt keine Schokolade. Das Essen ist gleich fertig.
Kind (energisch): Ich will aber !!!!
PM: Nein, jetzt nicht. Wenn du dein Mittagessen aufgegessen hast, dann darfst du ein Stück.
Kind (betont energisch): Ich will aber JETZT !!!!
PM: Nein, nachher....
Kind (schon deutlich lauter): Du blöde Kuh! Nie bekomme ich was von dir ! Du bist sooooooo gemein! (Tritt gegen den Küchenschrank)
PM (auch schon etwas lauter): Also, mein Lieber...so schon gar nicht! Erst nach dem Essen. Basta !!!
Kind (tickt allmählich aus und kreischt laut): Äääähhhh!!!!! Ich will aber jetzt!!!!!! Gib mir die Schokolade, du blöde Ziege!!! (Schlägt nach der PM und guckt hasserfüllt)
PM (bemerkt allmählich, dass beim Kind mordsmäßig was hochkommt und schaltet -grade noch rechtzeitig- um... Spricht jetzt in ruhigem, freundlichen Ton): Wenn ich sehe, wie sehr es dich aufregt, jetzt keine Schokolade zu bekommen, dann frage ich mich, was wohl der Grund dafür ist...Ich bin sicher, du hast einen wirklich guten Grund, so wütend zu werden...
Kind (immer noch laut, aber etwas kläglicher): Weil du mir keine Schokolade gibst!!!!
PM: Ja, deshalb bist du jetzt so wütend, und ich denke, du bist auch früher schon oft ganz doll wütend gewesen, wenn du nichts zu essen bekommen hast...
Kind (leiser, etwas schnippisch abwehrend): Na und...?
PM: Ich wäre auch sehr wütend, wenn ich Hunger hätte und würde nichts zu essen bekommen. Das muss wirklich ganz ganz schlimm sein....
Kind (überrascht, kläglich): Jaaa....
PM: Ich finde, wenn eine Mutter ihrem Kind gar nicht das gibt, was es zum Leben braucht, dann ist das Kind zurecht ganz dolle wütend...
Kind (erstaunt): Wirklich???
PM: Ja!!!! Was ein Kind zum Leben braucht, das muss es bekommen. Sonst bekommt es ja ganz dolle Angst und denkt vielleicht sogar, dass es gar nicht weiterleben kann. Das ist ja schrecklich für das Kind, und dass es dann ganz dolle wütend wird, das kann ich gut verstehn....
Kind (nachdenklich): .....Dann hättest du auch Angst? Und wärst auch wütend? .... wie ich?
PM: Ja, das wäre ich wohl auch.....
Kind (wirft einen prüfenden, aber milden Blick zur PM):  ......Ja....das wärst du wohl...
PM: Was hälst du davon, wenn du mir hilfst den Tisch zu decken, damit wir jetzt was Leckeres zu Mittag essen können und danach bekommst du ein gaaaanz großes Stück Schokolade.
Kind (versöhnlich): Na gut, aber dann bekomm ich ein ganz gaaanz großes Stück !
PM (nimmt Kind in den Arm): Jaaa! Ein gaaaaanz gaaaaaanz großes Stück ;-)))

In der ersten Variante hat die PM nicht verständnisvoll, sondern erzieherisch reagiert. Das ist nicht falsch, hat aber ein anderes Ziel, denn es geht der PM hier nicht um die Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Verhalten und Trauma, sondern um die Klarstellung und Durchsetzung von Regeln.

In der zweiten Variante hat sie mittendrin bemerkt, dass sich in diesem Moment eine Gelegenheit bietet, mit Verständnis zu reagieren und dem Kind den Zusammenhang zwischen Verhalten und Trauma deutlich zu machen. Dadurch hat das Kind die Chance bekommen, sich selbst ein bisschen besser zu verstehen und zu erkennen, dass es gar nicht so "verrückt" ist, wenn es auf Versagenssituationen mit Angst und Aggression reagiert Außerdem hatte es die Möglichkeit die korrigierende Erfahrung zu machen, dass ihm mit Verständnis begegnet wird und es darauf vertrauen kann, dass es in der Pflegefamilie bekommt, was es braucht (aber nicht unbedingt alles was es will...).

Solche Dialoge in Realita zu führen, ist gar nicht so einfach, vor allem, wenn sich die Situation, wie in meinem Beispiel, schon ein bisschen aufgeheizt hat. Aber er lohnt sich, darüber nachzudenken, wie es einem selber gelingen kann, zumindest gelegentlich auf solch eine Weise zu reagieren.

Wir können aber noch mehr tun, um den Kindern zu helfen, mit ihren Gefühlen und Erlebnissen in Kontakt zu kommen und diese zu verarbeiten. Eine weitere Möglichkeit sind Kampf- und Rollenspiele. Viele Kinder begeben sich gern in die Rolle des Täters und agieren dabei spielerisch ihre Aggressionen aus. Auch wenn die zugewiesene Opferrolle unangenehm sein sollte, ist sie eine Chance, dem Opfer (d.h. dem Kind in seiner damaligen Situation) eine Stimme zu geben und für das Kind zu sprechen. Ein Beispiel:

Pflegevater und Kind rangeln und toben. Es wird gelacht und gerauft. Plötzlich beginnt das Kind richtig hart zuzuschlagen und nimmt den PV in den Würgegriff. . .
PV: Hui, wer bist du denn jetzt?
Kind (in despotischem Tonfall): Ich bin viel stärker als Du!! Ich mach dich jetzt tot !!!   
PV: Ach, du bist jetzt wohl ein böser Mann...dann bin ich jetzt wohl mal das Kind... (in ängstlichem Tonfall) Hilfe !!! Ich hab Angst !!! Warum hilft mir denn keiner?
Kind: Ha, dir wird keiner helfen! Ich kann mit dir machen was ich will!
PV (angstvoll): Hilfe ! Hilfe ! Der will mir weh tun!!! Bitte tu mir nicht weh. . .!
Kind: Doch! (drischt auf den PV ein)
PV (kläglich): Aua !!!! Nein !!! Ich will das nicht !! Das ist ganz gemein und böse, wenn die Großen den Kindern weh tun.....Hör auf!!!
Kind: Nein! Ich hör erst auf, wenn du tot bist!!
PV (angstvoll schreiend): Nein ! Nicht !!! Helft mir doch!!! Der ist ganz böse zu mir ! Ich hab ganz dolle Angst !!
Kind: Ha, Haaaa!! Ich bin böööööse!!!
PV: Ja, du bist ein ganz böser Mann ! So was darf man nicht machen!!! Das macht mir schreckliche Angst und es macht mich gaaaanz doll wütend (jetzt beginnt sich der PV zu wehren)!!!!
Kind: Waaaas??? Du wehrst dich? Na warte....(will wieder zuschlagen)

Da greift die PM ein und beschützt das Kind (PV) vor dem "bösen Mann".
PM (nimmt PV in den Arm):
Das ist ja schrecklich, was der Große da mit dir armen Kind gemacht hat. Du armes Kind!!! Du hattest bestimmt ganz schreckliche Angst. Wenn Erwachsene Kindern so weh tun, dann ist das ganz schlimm. Die Kinder können sich ja gar nicht richtig wehren, auch nicht, wenn sie ganz doll wütend werden. Die Kinder haben dann bestimmt noch oft ganz lange später Angst und sind ganz dolle wütend auf alle Erwachsenen....

PV (steigt aus seiner Rolle aus und steht auf): Oh ja, das hab ich jetzt auch gespürt, wie das Angst macht und wie wütend einen so was macht. Ich denke auch, dass Kinder sich noch lange so schrecklich fühlen, wenn ihnen so was passiert ist..... (holt das Kind aus seiner Rolle als "böser Mann", indem er es auf den Arm nimmt oder sich vor es hinhockt und sagt) Für Kinder ist es wirklich ganz schlimm, wenn ihnen Erwachsene weh tun. Ich werde ganz wütend, wenn ich daran denke. dass jemand einem Kind so wehgetan hat. Da kann ich wirklich gut verstehen, dass das Kind manchmal jetzt noch traurig oder ganz doll wütend ist oder schlimme Angst hat. (hält das Kind tröstend im Arm...) Weißt du was....wenn Dir jemals jemand weh tun will, dann werde ich dich beschützen. Ich erlaube es nicht, dass meinem Schatz noch mal weh getan wird. Versprochen!
PM: Ja, ich verspreche das auch! Niemand darf unseren Kindern weh tun! Das wird nie wieder passieren! (Beide nehmen das Kind in den Arm)

So ähnlich könnte solch ein Spiel ablaufen. Wichtig ist, am Anfang klar zu stellen, dass nun ein Rollenspiel beginnt (du bist jetzt wohl....und ich bin dann jetzt...) und ebenso das Ende klar zu kennzeichnen (z.B. durch Änderung der Körperhaltung, der Stimme, der Position im Raum oder direkt per Ansage "Ich bin jetzt wieder der Papa und du bist jetzt wieder der Franz"), damit keine Verwirrung beim Kind auftritt. Wichtig ist ebenfalls, dafür Sorge zu tragen, dass das Kind wieder aus seiner Rolle aussteigt, wenn das Spiel zu ende ist.

Solche Spiele können auch gut mit Handpuppen durchgeführt werden. Das ist weniger anstrengend und etwas einfacher, denn die Rollen ergeben sich aus den Spielfiguren und müssen nicht definiert werden und Anfang und Ende des Rollenspiels sind deutlicher zu erkennen, sodass das Risiko der Verwirrung des Kindes nicht besteht.

Noch eine Möglichkeit, dem Kind zu verstehen zu geben, dass ihm Verständnis entgegen gebracht wird ist das Selbstgespräch bzw. das Gespräch zwischen den Pflegeeltern in Gegenwart des Kindes. In dem Gespräch können Gedanken geäußert werden, was wohl der gute Grund des Kindes für sein Verhalten ist. Dann braucht das Kind nicht direkt zu reagieren, hört aber sehr wohl, dass die Pflegeeltern Verständnis haben und sich über das Kind Gedanken machen. Vielleicht wird es sogar den einen oder anderen Gedanken aufschnappen und für sich weiter denken.

Weitere Interventionen im Alltag, die für traumatisierte Kinder hilfreich sind:
- Wahrnehmungsverbesserung (Ergo, Psychomotorik u.ä., jede Art der Körpererfahrung)
- das subjektive Sicherheitsgefühl des Kindes prüfen und ggf. verbessern (inwieweit fühlt es sich vor dem Täter geschützt und sicher)
- Trigger erkennen (+ ggf. vermeiden)
- Imaginationsübungen/Traumreisen zur Stabilisierung der Ich-Funktionen. Diese Übungen ermöglichen dem Kind die Erfahrung, dass es sein inneres Geschehen beeinflussen und kontrollieren kann und geben ihm Möglichkeiten an die Hand sich selber zu helfen (z.B. durch das Versetzen an einen inneren sicheren Ort/ das Herbeirufen von Engeln o.ä.)
- Psychoedukation d.h. dem Kind vermitteln, dass es :

  • völlig normal und gesund ist, auf so was Schlimmes /Verrücktes so... zu reagieren, ja, das dies ein Zeichen seines Normal-Seins ist, dass es ,,verrückt” reagiert,         
  • toll und stark ist, weil es das Trauma überlebt hat und Wege gefunden hat, trotz allem handlungsfähig zu bleiben,
  • einen Zusammenhang zwischen seinem heutigen Verhalten und dem Trauma gibt,
  • die ,,Störung” sein Schutz war/ist und deshalb erst mal völlig o.k. ist,
  • Wege /Möglichkeiten gibt, wie es noch besser mit der Traumatisierung umgehen kann und ihm zutraut wird, diese Wege zu gehen.

Bei Kindern die zusätzlich therapeutische Unterstützung brauchen, wäre es gut, einen Therapeuten zu finden, der traumazentrierte Methoden beherrscht und diese in seine Arbeit einbaut.

Die z.Zt. effektivsten Methoden sind das sog.
- Screening 
- EMDR (Eye-Movement-Desensitisation and Reprocessing)
- traumazentrierte Spieltherapie (Rollenspiele u.ä.).

Psychoanalytische Verfahren und verhaltenstherapeutische Methoden haben sich als deutlich weniger wirksam erwiesen und sollten nur den ,,Rahmen” traumazentrierter Methoden bilden, nicht als Traumatherapie selbst betrachtet werden.

Abschließende Bemerkung
Nachdem Sie nun so viel über Traumatisierung, ihre Folgen und mögliche Umgangsweisen erfahren haben, sollten Sie nicht dem Irrtum verfallen zu glauben, es wäre nun für Sie möglich, jederzeit hilfreich und (im Sinne des eben Gehörten) "richtig" zu reagieren. Dies ist im 24-Stunden-Alltag mit unseren besonderen Kindern niemandem möglich.

Ich persönlich halte es aber auch nicht für erstrebenswert, denn wir sind für unsere Kinder in erster Linie Eltern, und wenn Eltern versuchen stets lehrbuchmäßig zu handeln, verlieren sie schnell ihre Authentizität und Spontaneität und tendieren dazu, sich Vorwürfe zu machen, wenn es ihnen einmal nicht gelingt „richtig“ zu handeln. Dies ist für die Beziehung zu unseren Kindern genauso wenig hilfreich wie das völlige Ignorieren der besonderen Erfordernisse in Umgang mit traumatisierten Kindern.

Ziel unserer Bemühungen sollte deshalb ein gesundes Gleichgewicht zwischen therapeutisch orientiertem Handeln und spontanem Verhalten sein. Wenn es gelingt, im Alltag immer wieder mal einen verständnisvollen Dialog zu führen, ein Rollenspiel einzuflechten, Außensicht einzunehmen und sich nicht in eine Reinszenierung hinein ziehen zu lassen oder im Selbstgespräch in Gegenwart des Kindes deutlich werden zu lassen, dass die PE Mitgefühl und Verständnis für seine Lage aufbringen, dann wird dies nach und nach seine Wirkung zeigen.

Ein überhöhter Anspruch, jederzeit nur therapeutisch korrekt zu agieren, überfordert jeden und erzeugt zusätzlichen Stress und Schuldgefühle, was letztlich dem Zusammen-leben mit dem Kind mehr schadet als nützt.

Toll wäre es natürlich, wenn es gelänge, die beschriebenen Handlungsmöglichkeiten derart zu verinnerlichen, dass sie ein Teil des spontanen Verhaltensrepertoires werden und somit automatisch in das pädagogisches Handeln einfließen. Dies erfordert allerdings sehr viel Übung.

Es wäre schön, wenn allen interessierten Pflegeeltern entsprechende Schulungen (z.B. in Form von Kursen oder regelmäßiger Supervision) von den JÄ angeboten würden.

 

 

[AGSP] [Aufgaben / Mitarbeiter] [Aktivitäten] [Veröffentlichungen] [Suchhilfen] [FORUM] [Magazin] [JG 2011 +] [JG 2010] [JG 2009] [JG 2008] [JG 2007] [JG 2006] [JG 2005] [JG 2004] [JG 2003] [JG 2002] [JG 2001] [JG 2000] [Sachgebiete] [Intern] [Buchbestellung] [Kontakte] [Impressum]

[Haftungsausschluss]

[Buchempfehlungen] [zu den Jahrgängen]

Google
  Web www.agsp.de   

 

 

 

 

 

simyo - Einfach mobil telefonieren!

 


 

Google
Web www.agsp.de

 

Anzeigen

 

 

 

 


www.ink-paradies.de  -  Einfach preiswert drucken