FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2006

 

Die Wahrnehmung der Aufgaben des Amtsvormunds

von Peter Hoffmann

 

Immer wieder stellt sich die Frage, in welcher Weise der Amtsvormund seine Aufgaben wahrzunehmen hat:

- Unterliegt der Amtsvormund den Weisungen seiner Dienststelle?
- Wie weit gehen die Kompetenzen des Amtsvormunds?
- Kann der Amtsvormund nach Belieben entscheiden?
- Wann wird der Amtsvormund abgelöst durch einen Einzelvormund?

 

I. Unterliegt der Amtsvormund den Weisungen seiner Dienststelle?

Das Jugendamt nimmt nach der gesetzlichen Regelung des § 55 Abs. 2 KJHG/SGB VIII die Amtsvormundschaft nicht kollektiv war, sondern überträgt sie einzelnen Mitarbeitern, die für die ihnen übertragenen Aufgaben gesetzliche Vertreter der Kinder werden (vgl. Münder, SGB VIII, (2003) § 55 Rdnr. 3).

»Die Tätigkeit des Vormunds ist höchstpersönlich und nicht übertragbar.« (Wiesner, SGB VIII (2000), § 55, Rdnr. 73 mit Hinweis auf KGJ 46,63).
Der Amtsvormund kann keinen Beauftragten einsetzen.

Eünder weist daraufhin, dass der Mitarbeiter des Jugendamts, dem die Ausübung der Aufgaben des Vormunds übertragen ist, zwar im Jugendamt hierarchisch integriert bleibt. Die Stellung als gesetzlicher Vertreter des Kindes bewirkt jedoch Besonderheiten, die zu berücksichtigen sind, nämlich die

    begrenzte Dienstaufsicht bzw. eingeschränktes Weisungsrecht«
    (a.a.O. Rdnr. 9, mit Hinweis auf Oberloskamp).

Bei Eingriffen der Vorgesetzten des Amtsvormunds in der Dienststelle können sich schwere Verstöße gegen den Grundsatz der selbstständigen, nicht fremdbestimmten/nicht fremdbeeinflussten Amtsführung der Vormundschaft ergeben:

Weiterhin weist Münder auf das Problem der Interessenkollision hin (a. a. O. Rdnr. 11; ebenso Wiesner, § 55 Rdnr. 84f):

    »Das Ziel einer konsequent am Kindeswohl orientierten Betreuung und der Grundsatz einer selbstständigen, nicht fremdbestimmten/fremdbeeinflussten Amtsführung der Vormundschaft... verlangen einen freien Handlungsspielraum. Eine strikte Weisungsgebundenheit... im Einzelfall würde den persönlichen Kontakt zum Kind stören, einer anonymen Amtsführung Vorschub leisten und die notwendige langfristige und stetige Beziehung und den Kontakt zum Mündel beeinträchtigen.«

Weiter heißt es (Münder a.a.O. Rdnr. 12; Wiesner a. a. O. Rdnr. 86):

    »Der Leiter des Jugendamts ist daher nur bei Pflichtwidrigkeiten i. S. v. § 1837 BGB zu Erteilung von Weisungen gegenüber dem Beauftragten befugt. Der große Bereich der Zweckmäßigkeitsentscheidungen oder auch die Personalkontrolle sind dem Weisungsrecht des Leiters der Verwaltung bzw. in seinem Auftrag des Leiters des Jugendamts entzogen«.

Weiter führt Münder aus (a. a. O. Rdnr. 13; ähnlich: Wiesner a. a. O. Rdnr. 91f):

    »Die Konstruktion der Amtsvormundschaft im Jugendamt, ausgeübt durch Beamte/Angestellte kann dazu führen, dass der Beamte/Angestellte als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen ein gerichtliches Verfahren gegen das Jugendamt führen muss (In-sich-Prozess). Eine Beeinträchtigung dieses Rechts durch Ausübung von Weisung-oder Direktionsrecht des Leiters des Jugendamts ist rechtswidrig und ein Grund für das Vormundschaftsgericht, seinerseits einzugreifen (mit Hinweis auf OVG Berlin, FEVS 37,228).«

     

II. Wie weit gehen die Kompetenzen des Amtsvormunds? Kann der Amtsvormund nach Belieben entscheiden?

Der Amtsvormund ist in erster Linie dem Kindeswohl verpflichtet, wobei seine Kompetenzen nicht aus Art. 6 Grundgesetz (dem grundgesetzlich geschützten Recht der elterlichen Sorge) abgeleitet werden:
Deshalb sind gegenüber dem Amtsvormund noch strengere Prüfungsmaßstäbe anzulegen als gegenüber leiblichen Eltern, die von ihrem Recht der elterlichen Sorge Gebrauch machen:
Die Kommentierung weist darauf hin, dass bei einem Vormund strengere Prüfungsmaßstäbe (mit Hinweis auf BVerfGE 79, 51, 66) anzulegen sind, zumal es auf Seiten des Vormundes/Pfleger es auch an einem verfassungsrechtlich bedeutsamen Umstand fehle: Dieser Träger des Herausgabeanspruchs kann sich nicht auf das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz stützen (a. a. O., Rn 77).

Konsequenzen hat dies zum Beispiel dann, wenn ein Amtsvormund ein Kind aus einer Pflegefamilie herausnehmen möchte und die Pflegefamilie einen Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnungen gem. § 1632 Abs. 4 BGB beim Familiengericht stellt:

    »Macht einen Vormund oder Pfleger als Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts die Herausgabe des Kindes aus dem Pflegeverhältnis geltend, so kann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer 1632 Abs. 4 entgegen seinem Wortlaut (»wollen die Eltern das Kind wegnehmen«) zur Anwendung kommen, weil gemäß §§ 1800, 1915 die Rechte und Pflichten des Vormundes/Pfleger des sich nach §§ 1631 bis 1633 bestimmen (zahlreiche Literaturhinweise). Gerade Veränderungsabsichten eines Vormundes, welcher einzig und allein zum objektiven Sachwalter kindlicher Interessen berufen ist, müssen sich vor dem Maßstab des Kindeswohls besonders bewähren und mit gewichtigen Sachgründen verbunden sein, weil hier nicht - immerhin nachvollziehbare - Absichten der Eltern (Schwab, 54. DJT A 128: »Elementarer Ausdruck elterlichen Fühlens ...«) durchgesetzt werden sollen.«

Die Führung einer Vormundschaft setzt auch einen persönlichen Bezug zu dem Kind voraus.
Die Verletzung der Grundsätze der Führung der Amtsvormundschaft und konkret den Interessen des Kindeswohls kommen in Betracht bei mehrfachem Personenwechsel in der Person des Vormunds (vgl. Wiesner a. a. O. Rdnr. 89 »Personale Beziehung als Basis«.).

Die Tätigkeit des Vormunds unterliegt nicht verwaltungsgerichtlicher, sondern vormundschaftsgerichtlicher Kontrolle (vgl. Wiesner, § 55 Rdnr. 73).

 

III. - Wann wird der Amtsvormund abgelöst durch einen Einzelvormund?

1. Durch den einen Antrag auf Ablösung der Amtsvormundschaft und Einrichtung einer Einzelvormundschaft soll der gesetzlichen Vorgabe genügt werden, wonach im Verhältnis zur Amtsvormundschaft der Einzelvormundschaft der Vorrang gebührt, § 1791b BGB. Nur dann nämlich, wenn eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden ist, »so kann auch das Jugendamt zum Vormund bestellt werden«.

Der Gesetzgeber hat eine klare Regelung getroffen, und zwar dahingehend, daß im Verhältnis von Einzelvormundschaft und Amtsvormundschaft der Einzelvormundschaft ganz klar der Vorrang gebührt. Eine Amtsvormundschaft kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn ein Einzelvormund nicht bereit oder nicht in der Lage ist, die Vormundschaft zu übernehmen; "der letzte Ausweg", Staudinger-Engler (2004) § 1791b, Rdnr.3, wenn trotz intensiver Ermittlungen (§ 12 FGG) keine geeignete Einzelperson zu finden ist (a.a.O. Rdnr. 4).

Sind z. B. Pflegemutter und Pflegevater als Einzelvormünder bereit und in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen, so gibt es gegen die Geeignetheit der beiden Personen als Vormünder keinerlei Bedenken. Ansonsten hätte man  das Pflegekind bei ihnen in der Pflegefamilie belassen.

Damit hat der Gesetzgeber in völliger Eindeutigkeit die Bestellung der Einzelvormundschaft als den Regelfall und die Bestellung der Amtsvormundschaft als den Ausnahmefall festgelegt.

Die Voraussetzung der bestellten Amtsvormundschaft - neben den allgemeinen Voraussetzungen von § 1773 BGB - ist (vgl. Palandt-Diederichsen, § 1791 b BGB Rn 1:) das Fehlen einer als ehrenamtlicher Einzelvormund geeigneten Person. »Zu diesem Nachweis darf sich das Vormundschaftsgericht nicht auf die Mitwirkung des Jugendamts beschränken, sondern muss eigene Ermittlungen anstellen (vgl. SGB VIII § 53 I; FGG § 12)..... Vorrang vor dem Jugendamt haben bei Geeignetheit auch Pflegeeltern (§ 1779 Rn 5)

Für dieses Verfahren ist nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut das Vormundschaftsgericht und nicht das Familiengericht zuständig.

2. Antragsberechtigt ist gem. § 1887 Abs. 2 Satz 2 jeder, der ein berechtigtes Interesse des Mündels geltend macht.

Das berechtigte Interesse ist dann gegeben, wenn jemand wegen der persönlichen Beziehung zu dem Kind verständlichen Anlass hat, für dessen persönliches Wohl einzutreten (Staudinger-Engler (2004), BGB, § 1887 Rdnr. 13; BVerfG FamRZ 1986, 871, 874).

Daher sind Pflegeeltern antragsberechtigt.

3. Aus § 56 Abs. 4 i. V. m. § 53 Abs. 1 KJHG/SGB VIII ergibt sich ein klarer gesetzlicher Auftrag an das Jugendamt, zur jährlichen Prüfung, ob im Interesse des Kindes seine Entlassung als Amtspfleger oder Amtsvormund und die Bestellung einer Einzelperson angezeigt ist und eine Verpflichtung, dem Vormundschaftsgericht entsprechende Mitteilung und personelle Vorschläge zu machen.

Es ist in der Praxis allgemein bekannt, daß die Jugendämter diesen eindeutigen gesetzlichen Auftrag - §§ 1791 b, 1887 BGB; §§ 53 Abs. 1, 56 Abs. 4 KJHG/SGB VIII - immer wieder unterlaufen, in dem sie - auch entgegen dem gesetzlichen Auftrag - von der jährlichen Überprüfungspflicht der Amtsvormundschaft regelmäßig keinen Gebrauch machen und die Bestellung von Einzelvormündern nicht beantragen.

Wir verweisen weiter auf die Kommentierung bei Krug/Grüner/Dallichau, Loseblatt-Kommentar zum SGB VIII, § 55 I Seite 8:

    "Der Grundsatz des Vorrangs der Einzelpflegschaft und der Einzelvormundschaft vor der Amtspflegschaft und der Amtsvormundschaft ist in der Praxis in das Gegenteil verkehrt worden; dies dürfte im wesentlichen auf den Mangel an geeigneten Einzelpersonen, aber auch auf eine gelegentliche Zurückhaltung von Jugendämtern zurückzuführen sein, Einzelpersonen vorzuschlagen bzw. Amtspflegschaften oder Amtsvormundschaften an sie abzugeben. Vor allem im Bereich der sogenannten Dauerpflege, also der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die seit längerer Zeit in einer Pflegefamilie leben und deren Rückkehr in die Herkunftsfamilie meist eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB oder die dafür maßgeblichen Gründen entgegenstehen, sollte häufiger von der Ablösung des Amtspflegers oder Amtsvormundes durch einen Einzelpfleger oder Einzelvormund Gebrauch gemacht werden. Durch die Bestellung von Pflegeltern zu Pflegern bzw. Vormündern könnten rechtliche Erziehungsverantworung und tatsächliche Ausübung in einer Hand vereinigt werden, was in vielen Fällen der Dauerpflege sinnvoll erscheint."

Weiter heißt es:

    "Die sogenannten Fallzahlen, also die Zahl der Minderjährigen, die von einem Mitarbeiter des Jugendamtes zu betreuen sind, schwanken örtlich und regional sehr stark, sind aber in der Regel zu hoch, um eine persönliche Betreuung des einzelnen Kindes oder Jugendlichen zu gewährleisten. Häufig bleibt es bei einer formalen, aktenmäßigen Bearbeitung des einzelnen Falles. Die Beseitigung dieses oder anderer Vollzugsdefizite kann aber nicht durch den Gesetzgeber erfolgen; sie ist Aufgabe der für die Jugendämter verantwortlichen kommunalen Gebietskörperschaften."

Soweit die Kommentierung mit einem Zitat aus der Begründung der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 11/5948, S. 90.

4. Zu dem regelmäßigen Einwand der so genannten Interessenkollision bei Übernahme der Amtsvormundschaft durch die Pflegeeltern:

Eine Interessenkollision besteht nicht. Die Pflegeeltern sind umfassend in der Lage, die Kinder und im Sinne des Kindeswohls in geeigneter Weise zu vertreten.

Dies gilt auch für die Frage des Umgangs mit der Herkunftsfamilie.
Auch im übrigen sind keine eigenen Interessen der Pflegeeltern denkbar oder erkennbar, die im Widerspruch zu den Interessen der Kinder oder zum Kindeswohl stehen könnten.

Ein massiver Interessenkonflikt besteht allerdings bereits in der gegenwärtigen Situation bei den bestehenden Amtsvormundschaften:

Bereits Wiesner (SGB VIII/KJHG,§ 55 Rdnr. 89) weist daraufhin, dass die Beziehung zwischen Vormund und Mündel vom Gesetz als personale Beziehung gewollt ist. Problematisch seien die hohen Fallzahlen (20 bis 100) pro Fachkraft. Im Regelfall ist eine Teilnahme an zeitintensiven Hilfeplangesprächen sowie regelmäßiger persönlicher, auf Vertrauen aufbauender Kontakt mit den Mündel unter diesen Umständen nicht möglich (a. a. O. Rdnr. 90).

Im Übrigen warnt Wiesner (a. a. O. Rdnr. 91,92 ) davor, dass durch die Amtsvormundschaft

    »die wesensverschiedenen Aufgaben der Ausübung der elterlichen Sorge einerseits und die Gewährung und Erbringung sozialer Dienstleistungen gegenüber Eltern, Kindern und Jugendlichen andererseits organisatorisch und personellen vermischt werden..... Damit werden nicht nur natürliche Interessenkollisionen zwischen dem Amtsvormund als Leistungsberechtigtem und dem Jugendamt als leistungsverpflichteter Behörde verschleiert; vor allem wird die Rechtsposition des Kindes verkürzt, da der Vormund als Leistungsberechtigter nicht mehr eigene Ansprüche oder Ansprüche des Kindes gegenüber dem Jugendamt geltend macht, sondern den Leistungsbedarf aus der Sicht der Behörde sieht. Am augenfälligsten wird die Interessenkollision im Hilfeplanverfahren (§ 36), wo die ggf. gegenläufigen Interessen von Personensorgeberechtigten und Jugendamt als Leistungsbehörde nicht offengelegt werden und für einen »Aushandlungsprozess« zwischen den Beteiligten kein Raum mehr vorhanden ist.«

Wiesner weist auch ausdrücklich daraufhin, dass die Subsidiarität der Amtsvormundschaft vor der Einzelvormundschaft aus § 1791b BGB und die Pflicht des Jugendamtes zur jährlichen Überprüfung der Amtsvormundschaft mit einer Mitteilungspflicht gegenüber dem Vormundschaftsgericht verknüpft ist, damit dieses nach § 1887 BGB tätigwerden, das Jugendamt als Vormund entlassen und einen Einzelvormund bestellen kann ( a. a. O. § 56 Rdnr. 19).

5. Bei Entzug der elterlichen Sorge ist es generell, im speziellen Fall aus den eingangs genannten Gründen aber auch besonders am sinnvollsten, die Pflegeeltern zu Vormündern/Pflegern zu bestellen, also diejenigen Personen, die im Alltag für das Kind zu sorgen haben, die Bedürfnisse des Kindes genau kennen und in der Lage sein müssen, jederzeit zum Wohl des Kindes Entscheidungen zu treffen.

Zu verweisen ist auf die entsprechenden Gerichtsentscheidungen, zum Beispiel :
Landgericht Flensburg FamRZ 2001, 445, mit Anm. Hoffmann;
Kammergericht FamRZ 2002, 267 ;
Amtsgericht Schöneberg FamRZ 2002, 268; rechtskräftig bestätigt durch LG Berlin 83 T 464/01 vom 3. April 2003;
Amtsgericht Hamburg 109VIISCH 14358 vom 16.6.2003), rechtskr.

s.a. http://www.rechtsanwalthoffmann.com

 

 

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