FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2004

 

Stellungnahme des
AktivVerbund Berlin – Pflegeeltern für Pflegekinder
zur geplanten Streichung des § 86.6 SGB VIII

 

Vorbemerkung: Nachdem die Sozialarbeiterin Paula Zwernemann bereits eine kritische Stellungnahme zur Abschaffung des § 86 Abs. 6 aus der Sicht des Pflegekinderdienstes vorgelegt hat, liegt uns nun ein Kommentar vom ‚AktivVerbund Pflegeeltern für Pflegekinder’ aus der Sicht der Pflegeeltern vor, den wir unseren Lesern und den politisch Verantwortlichen zur Kenntnis geben wollen. Wir hoffen, dass sich auch andere Pflegeeltern und Pflegeelternverbände rechtzeitig und nachdrücklich in diese Diskussion einbringen.
K.E. (Juni 2004)  

 

In § 86.6 hieß es bisher:

(6) Lebt ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson und ist sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten, so ist oder wird abweichend von den Absätzen 1 bis 5 der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Er hat die Eltern und, falls den Eltern die Personensorge nicht oder nur teilweise zusteht, den Personensorgeberechtigten über den Wechsel der Zuständigkeit zu unterrichten. Endet der Aufenthalt bei der Pflegeperson, so endet die Zuständigkeit nach Satz 1.

Diese aus den speziellen Bedürfnissen des Pflegekinderwesens, insbesondere aus der Notwendigkeit eines kontinuierlichen Betreuungsverhältnisses zwischen Pflegekinderdienst und Pflegefamilie gewachsene Sonderregelung soll nun zur Erleichterung der Kostenverwaltung gestrichen werden. Die Begründung im Referentenentwurf des BMFSFJ dafür lautet:
“Die Sonderzuständigkeit in Absatz 6 für die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege hat sich in der Praxis nicht bewährt. Sie führt zu einem häufigeren Zuständigkeitswechsel und löst damit weitere Kostenerstattungsverfahren aus. Im Hinblick auf die unterschiedlichen fachlichen Konzepte der Pflegekindschaft in den einzelnen Jugendämtern sowie die örtlich unterschied unterschiedliche Bemessung des Pflegegelds führt jeder Zuständigkeitswechsel zu Irritationen für die Pflegeeltern und das Pflegekind und belastet damit den Hilfeprozess. Den Forderungen der Praxis entsprechend wird diese Regelung deshalb aufgehoben.”

Diese Begründung ist teilweise irreführend und teilweise ignorant. Das soll an einem Beispiel demonstriert werden:

Wenn eine Berliner Pflegemutter ein Dauerpflegekind aus Duisburg betreut, dann ist gem. § 86 Abs. 6 nach einer Übergangszeit von zwei Jahren das Jugendamt ihres Wohnbezirkes für sie zuständig und zwar sowohl finanziell wie auch betreuerisch. Es muss sich das der Pflegemutter ausgezahlte Pflege- und Erziehungsgeld vom Jugendamt Duisburg ersetzen lassen. Den Betreuungsaufwand bekommt es nicht ersetzt. Verständlich, dass die Jugendämter dagegen sind und den Gesetzgeber zu Änderungen drängen. Deshalb soll § 86 Abs. 6 nun abgeschafft werden.

Die Folgen für die Pflegeeltern bleiben gänzlich unbeachtet. In Zukunft müsste sich die Berliner Pflegemutter selbst an das Jugendamt Duisburg wenden, um ihr Geld zu erhalten und im Konfliktfall das Gerichtsverfahren einleiten, das das Bundesministerium dem Jugendamt ersparen will.

Sollten die Herkunftseltern inzwischen umgezogen sein, erhielte sie aus Duisburg eine Unzuständigkeitsmitteilung, eventuell sogar mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“. Der Referentenentwurf entlastet die Jugendämter also zu Lasten der Pflegeeltern.

Noch eklatanter ist die Verschlechterung bezüglich des Anspruchs auf Beratung und Unterstützung gem. § 37 KJHG. Was soll die Berliner Pflegemutter tun, wenn sich ihr Jugendamt künftig für unzuständig erklärt und das Duisburger Jugendamt aus personeller und finanzieller Knappheit nur einen oder zwei Beratungsbesuche pro Jahr anbietet. Wird man ihr zumuten, sich ihre Ratschläge in Duisburg abzuholen? Was geschieht in akuten Krisen? Wenn die Pflegemutter gehörig bettelt, würde sie vielleicht vom Jugendamt ihres Wohnbezirkes an dessen ständig überlastete und im Pflegekinderwesen unerfahrene Erziehungsberatungsstelle verwiesen werden. Pflegeeltern brauchen aber nicht nur hier und da Beratungsportionen, sondern kontinuierliche Begleitung und Unterstützung, die weit über psychosoziale Beratungen hinausgeht.

Die Hilfeplanverfahren fänden in Duisburg statt. Die Pflegemutter und das Berliner Jugendamt würden sicher herzlich dazu eingeladen, wären aber zeitlich und finanziell wohl kaum in der Lage, sich auf die Reise zu machen. Außerdem hielte sich ihr Interesse an solchen Ausflügen wahrscheinlich in engen Grenzen, weil das Duisburger Jugendamt und erst recht seine umzugsbedingten Nachfolger das Pflegekind und die Pflegemutter kaum kennen. Die ohnehin wachsende Tendenz vieler Jugendämter, mehr die Interessen der Herkunftsfamilie als die des Pflegekindes und seiner Pflegeeltern zu vertreten, würde weiter zunehmen.

Die Lobby der Jugendämter und die Ideologen des Ergänzungsfamilienprinzips, die den Pflegefamilien eine Art Assistentenrolle für die Herkunftsfamilie zuweisen wollen, sind offensichtlich mächtiger als die gestressten und wenig organisierten Pflegeeltern. Die Pflegeeltern halten aber eine wichtige Trumpfkarte: sie sind die erfolgreichsten und kostengünstigsten Therapeuten für die vielen traumatisierten Kinder aus den vernachlässigenden, misshandelnden und missbrauchenden Familien. Man wird sie umwerben müssen, statt sie zu verprellen !

(Mai 2004)

 

 

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