FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2004

 

Sozialstadtrat an Jugendhilfeausschuss

von Adolf Martin Möller

 

Vorbemerkung: Mit der nun vorliegenden Geschäftlichen Mitteilung von Sozialstadtrat Adolf Möller an den Kieler Jugendhilfeausschuss (s.a. Mitteilung vom 6.5.2004) liegt ein immerhin diskussionswürdiges Konzept zur Qualifizierung von Pflegeeltern vor. Allerdings wird einseitig das Ergänzungsfamilienprinzip vertreten, anstatt die im KJHG vorgesehene Offenheit für beide Perspektiven zu wahren. Ferner fehlen die Konsequenzen daraus, dass es sich in der Regel bei Pflegekindern um heilbedürftige traumatisierte Kinder handelt, die auf ungestörte dauerhafte Bindungen angewiesen sind. Dass Pflegeeltern wirtschaftlich unabhängig vom Pflegehonorar sein sollen, ist ebenso eine fachlich längst überholte Sichtweise. Die bereits während der PFAD-Fachtagung im November 2003 den dort anwesenden Vertretern des Jugendamtes gestellte Frage ist immer noch nicht beantwortet: Wird eine Arbeitsgruppe aus Pflegeeltern, Pflegeelternvertretern und Mitarbeitern des Jugendamtes zur Erarbeitung eines gemeinsamen Konzeptes für Pflegekinder ermöglicht?

Christoph Malter, Juni 2004

 

Anlässlich der Darstellung in der Geschäftlichen Mitteilung zur Vermittlung und Situation von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien wurde in der Jugendhilfeausschusssitzung vom 06.05.04 darum gebeten, einen umfassenderen Einblick in die Qualifizierung von Pflegeeltern zu geben.

Diese Geschäftliche Mitteilung möchte diesem Wunsch nachkommen und greift deshalb folgende Themen auf:

  • Die Bedeutung der Qualifizierung von Pflegeeltern
  • Vorbereitung auf die künftige Betreuungsarbeit
  • Grundqualifizierung
  • Qualifizierung aufgrund von Besonderheiten im Pflegeverhältnis
  • Ausblick

Die Bedeutung der Qualifizierung von Pflegeeltern

Die Qualifizierung von Pflegeeltern ist neben der Gewinnung und Vorbereitung von Pflegeeltern eine Kernaufgabe des Pflegekinderdienstes. Pflegeeltern sind bei der Aufgabe, die sie übernehmen, vielfältigen Anforderungen ausgesetzt:

Viele Pflegekinder haben vor der Vermittlung psychische oder physische Verletzungen erlitten. Die Trennung von ihren Eltern stellt oftmals eine weitere Verletzung dar. Das Pflegekind kommt zumeist mit einer schmerzhaften Geschichte in ein neues familiäres System und muss sich dort zurechtfinden. Es stellt sich für die Pflegefamilie die große Herausforderung, das Kind in ihr Familiensystem zu integrieren. Die Familie muss sich neu finden.

Leibliche Eltern haben häufig das Gefühl, versagt zu haben. Die Erfahrung, dass es ihrem Kind in der Pflegefamilie besser geht, kann solche Schuldgefühle verstärken, und es entstehen manchmal Gefühle wie Eifersucht und Rivalität gegenüber den Pflegeeltern. Die Zusammenarbeit kann dann schwierig und anstrengend sein, so dass Pflegeeltern bezüglich Toleranz, Geduld und Kommunikationsfähigkeit stark gefordert sind.

Pflegeeltern müssen akzeptieren lernen, dass mögliche Verhaltensauffälligkeiten oder Entwicklungsverzögerungen des Pflegekindes nicht schnell und häufig auch nicht vollständig aufgearbeitet werden können. Ihre Aufgabe besteht dann darin, das Kind durch gezielte Fördermaßnahmen zu unterstützen, aber auch auf dem Weg, damit umgehen zu lernen, zu begleiten. Ebenso sind Pflegeeltern oft mit ihrem Anspruch konfrontiert, das Pflegekind wie die eigenen Kinder behandeln zu wollen und dann doch Unterschiede im Umgang akzeptieren zu müssen.

Pflegeeltern müssen mit verschiedenen Fachkräften, Behörden und Institutionen zusammenarbeiten und sind dabei vielfältigen Erwartungen ausgesetzt.

Um all diese komplexen Anforderungen zu erfüllen bzw. mit ihnen umgehen zu können, benötigen Pflegeeltern zum einen ein bestimmtes Wissen und zum anderen die Fähigkeit, eigene Emotionen, Gefühle, Haltungen und Reaktionen zu reflektieren sowie die Bereitschaft und Offenheit, sich bei Bedarf auf Veränderungsprozesse einzulassen.

Die Qualifizierung von Pflegeeltern hat das Ziel, den Entwicklungsprozess der Pflegeeltern zu mehr Bewusstheit, Sensibilität und Kompetenz zu begleiten.

 

Vorbereitung auf die künftige Betreuungsarbeit

Nach unserem Verständnis beginnt die Qualifizierung von Personen bereits in den Vorbereitungsgesprächen. Diese Gespräche dienen dazu, die Zusammenarbeit zwischen den Pflegeelternbewerber/innen und dem Pflegekinderdienst aufzubauen und zu fördern. Darüber hinaus wird durch das Reflektieren der eigenen Motive und das Bewusstwerden von Kompetenzen und Grenzen die Entscheidungsfähigkeit der Pflegeelternbewerber/innen für oder gegen die Aufnahme eines Kindes in die eigene Familie entwickelt.

Bewerber/innen, die ein Pflegekind aufnehmen wollen, sollten folgende Anforderungen und Rahmenbedingungen erfüllen:

  • Erfahrungen im Umgang mit Kindern/Jugendlichen sowie praktische Erfahrungen, pädagogische Fähigkeiten und Kenntnisse,
  • Zeit für das Pflegekind, d. h. die eigene Berufstätigkeit darf die Betreuung nicht beeinträchtigen,
  • Einfühlungsvermögen für die besondere Situation eines Kindes mit zwei Familien,
  • die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf die besonderen Bedürfnisse eines Pflegekindes mit einer belastenden Herkunftssituation einzustellen und Schwierigkeiten als Herausforderung zu begreifen,
  • soziale Eingebundenheit und die Fähigkeit, das Kind/den Jugendlichen in die Familie und das nähere soziale Umfeld zu integrieren,
  • die Bereitschaft zu Besuchskontakten und zur Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie des Pflegekindes,
  • Wertschätzung und Offenheit für die individuelle Lebenssituation der zu vermittelnden Kinder und deren Familien,
  • Bereitschaft zur Teilnahme an einem Qualifizierungsverfahren und zur intensiven Kooperation mit dem Adoptions- und Pflegekinderdienst,
  • Gesundheit, persönliche Stabilität und emotionale Belastbarkeit,
  • Stabile, tragfähige soziale Beziehungen,
  • der Altersabstand zwischen dem Pflegekind und den Pflegeeltern sollte dem eines "natürlichen" Eltern-Kind-Verhältnisses entsprechen,
  • der Wunsch nach einem Pflegekind sollte bei allen Familienmitgliedern, Verwandten und Freunden große Akzeptanz haben,
  • Mut und Kraft zum "aus dem Rahmen fallen" (Akzeptanz des Sonderstatus),
  • die Fähigkeit, die eigene Motivation zur Aufnahme eines Pflegekindes darzulegen, eine abgesicherte finanzielle Situation, d. h. das Pflegekind darf nicht zur Sicherung des eigenen Lebensstandards dienen,
  • es sind geeignete Wohnverhältnisse (eigenes Zimmer bzw. genügend Rückzugsmöglichkeiten für das Pflegekind, Spielmöglichkeiten) vorhanden und
  • es bestehen keine Eintragungen im Strafregisterauszug

Die sozialpädagogischen Fachkräfte des Pflegekinderdienstes stellen mit Pflegeelternbewerber/innen Klarheit über o.g. Voraussetzungen her.

 

Grundqualifizierung

Im Rahmen unserer Arbeit machen wir die Erfahrung, dass Kinder, nachdem sie durch gute Beziehungsarbeit der Pflegeeltern Sicherheit gefunden und Vertrauen gefasst haben, psychische und physische Verletzungen und zum Teil schwere Traumatisierungen offenbaren, die vor der Vermittlung nicht erkennbar waren. Dieser Entwicklungsprozess geht teilweise mit nicht unerheblichen Verhaltensauffälligkeiten einher.

Vor diesem Hintergrund und den damit tendenziell steigenden Anforderungen an Pflegeeltern und Fachkräfte wurde uns deutlich, dass die bisherigen Angebote zur Fortbildung von Pflegeeltern durch weitere Elemente der Qualifizierung ergänzt werden müssen. Das Konzept der Betreuung von Pflegeeltern wird daher kontinuierlich den neuen Anforderungen angepasst und auch zukünftig ständig weiter entwickelt werden.

Das Konzept des Pflegekinderdienstes basiert auf vier „Bausteinen“:

  • Information,
  • Weiterbildung,
  • Beratung und
  • Erfahrungsaustausch

Zu Beginn eines Pflegeverhältnisses verpflichten sich die Pflegeeltern zur Teilnahme an fünf Seminaren. Folgende Themen werden unter Einbindung von Referentinnen bearbeitet:

  • Leben in/mit zwei Familien
  • Umgang mit psychisch kranken Eltern
  • Wir sind eine Pflegefamilie - Pflegeeltern berichten aus ihrem Alltag
  • Bindung -Beziehung –Trennung
  • Rückführung von Pflegekindern zu den Eltern

Dieser Anteil an regelmäßigen und verpflichtenden Seminaren wird sukzessiv zu einer umfassenden Veranstaltungsreihe ausgebaut. Sukzessiv deshalb, weil die Pflegeeltern schrittweise mit dieser Verbindlichkeit vertraut gemacht werden. Die Erfahrungen zeigen, dass tendenziell eher die gleichen Pflegeeltern Seminarangebote in Anspruch nehmen und einige andere nicht. Wir wollen mit einer Veränderung der Bedingungen vorsichtig agieren, um Pflegeeltern in der Zusammenarbeit konstruktiv zu begegnen und nicht zu überfordern. Darüber hinaus erfordert diese Form der Begleitung eine zunehmende Qualifizierung der Fachkräfte im Pflegekinderdienst sowie eine Umstrukturierung der bisherigen Betreuungsarbeit. Eine intensivere Fortbildungsarbeit von Pflegefamilien erfordert einen höheren Zeitaufwand. Dieser wird durch eine teilweise Umsteuerung von der umfassenden Einzelbegleitung von Pflegeeltern hin zu verstärkten Gruppenangeboten und Seminaren mit gleichzeitigem Erfahrungsaustausch der Pflegeeltern untereinander kompensiert. Ziel ist, die Dienstleistung und damit die Unterstützung für Pflegefamilien effektiver zu gestalten.

Der Pflegekinderdienst macht den Pflegeeltern derzeit jährlich drei weitere Fortbildungsangebote. Durch Fachvorträge verschiedener Referent/innen wird das Wissen der Pflegeeltern beispielsweise zu folgenden Themen erweitert:

  • befristete Pflegeverhältnisse
  • Bindungsverhalten von Pflegekindern
  • Abschied, Heimweh, Trauer
  • Grenzen wahrnehmen, Grenzen setzen, Grenzen akzeptieren
  • Sexueller Missbrauch
  • Biografiearbeit
  • Pubertät

Die Seminare werden in einem standardisierten Verfahren unter Einbeziehung der Pflegeeltern ausgewertet, um die zukünftigen Angebote noch gezielter auf die Bedarfe von Pflegeeltern abstimmen zu können.

Der Pflegekinderdienst kooperiert eng mit anderen Einrichtungen und Institutionen. Wir werben in Beratungen, in einem regelmäßigen Informationsbrief für Pflegeeltern und in Pflegeelterngruppen für die Teilnahme an Seminaren von beispielsweise folgenden Veranstaltern: Erziehungsberatung Kiel, Haus der Familie, Kinderschutz-Zentrum, Osterberginstitut, Volkshochschule, Pädiko und bislang in begrenztem Umfang auch PFAD (Ortsvereine für Pflege- und Adoptivfamilien).

Der Erfahrungsaustausch von Pflegeeltern untereinander ist ein wesentliches Element zur Kompetenzerweiterung. Es finden in einem 1-2 monatlichen Rhythmus regelmäßige von den Fachkräften des Pflegekinderdienstes begleitete Gesprächskreise zum Austausch von Pflegeeltern statt. Die beispielhaft genannten Themen werden von den Pflegeeltern selbst eingebracht. Dazu werden Haltungen reflektiert und mögliche Reaktionsformen entwickelt.

  • Gestaltung von Besuchskontakten
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Suchtverhalten/-erkrankung
  • Aktuelle Krisensituationen
  • Entwicklungsstörungen/verzögerungen
  • Autoaggressives Verhalten

Darüber hinaus findet ein regelmäßiges Supervisionsangebot als "Gruppensupervision" für Pflegeeltern statt. Geleitet wird dieses Angebot von einer Psychologin der Erziehungsberatungsstelle. Die Gruppe bietet Pflegeeltern Gelegenheit, sich unter fachlicher Anleitung mit anderen "Gleichgesinnten" über aktuelle Schwierigkeiten, die im Zusammenleben mit ihren Pflegekindern entstehen, in einer vertrauensvollen Atmosphäre auszutauschen, Anregungen zu sammeln und Lösungen zu entwickeln.

Auf Wunsch von Pflegeeltern oder auf Anregung der Fachkräfte des Pflegekinderdienstes wird Fachliteratur zur Verfügung gestellt. Informationsbedarf besteht z. B. zu den Themen

  • Wahrnehmungsstörungen
  • Hilfen für das "schreibauffällige" Kind
  • Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern
  • kleine und große Ängste bei Kindern
  • Umgang mit hyperaktiven Kindern

 

Qualifizierung aufgrund von Besonderheiten im Pflegeverhältnis

In der Betreuung von Pflegeeltern wird gemeinsam mit ihnen entwickelt, welcher zusätzliche Informations- und Unterstützungsbedarf besteht. Anlass für die Anregung von intensiverer Beschäftigung mit einem speziellen Thema sind u. a. Behinderungen oder besondere Erkrankungen eines Pflegekindes, Verlust eines leiblichen Elternteils, Pubertät, Abgrenzung, Umgang der Pflegeeltern mit verschiedenen Problematiken und Auffälligkeiten im Verhalten des Pflegekindes oder Kontakt zu Herkunftseltern.

Den Pflegeeltern werden je nach Bedarf folgende Angebote entweder empfohlen oder die Inanspruchnahme verbindlich vereinbart:

  • Intensive Begleitung und Beratung durch eine Fachkraft des Pflegekinderdienstes, zum Beispiel zur Erarbeitung von Lösungsstrategien oder unterstützenden und entlastenden Hilfen
  • Vereinbarung über die Teilnahme an bestimmten Seminaren über den Pflegekinderdienst und andere Veranstalter zu beispielsweise folgenden Themen
     
    • Alkoholembryoapathie
    • Borderline
    • ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom )
    • Achontroplasie (Minderwuchs)
    • Autismus -Psychomotorik
       
  • Im Einzelfall wird bezüglich besonderer Krankheitsbilder von Pflegekindern (Autismus, Chorea Huntington, Minderwuchs) die Teilnahme der Pflegeeltern an einer Selbsthilfegruppe initiiert.
  • Vereinbarung über die Wahrnehmung von Erziehungsberatung oder Supervision.
     

Ausblick

Pflegeeltern erbringen im Auftrag der Jugendhilfe eine wichtige Leistung für Kinder und Jugendliche. In Anbetracht der Anforderungen an Pflegeeltern und Fachkräfte wird sich der Pflegekinderdienst auch zukünftig für die Weiterentwicklung und Sicherung von Standards einsetzen. Die Vermittlung eines Kindes in eine Pflegefamilie stellt ein weitreichendes Ereignis im Leben eines Kindes dar. Nicht zuletzt deshalb sollte auf eine sorgfältige Auswahl von Pflegepersonen, eine kontinuierliche Vorbereitungs- und Qualifizierungsarbeit sowie eine qualifizierte Betreuung und Begleitung großen Wert gelegt werden. Die Sicherstellung und der Ausbau eines qualifizierten Angebotes ermöglicht Kindern, die zeitweise oder auf Dauer nicht in ihrer Familie leben können, das Aufwachsen in einem stabilen Familiensystem, verhindert Abbrüche in Pflegeverhältnissen und trägt zur Vermeidung von Heimunterbringungen bei.

Adolf-Martin Möller, Stadtrat

 

 

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