FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2006

 

Einige Anmerkungen zur gegenwärtigen Unterschicht-Debatte

von Kurt Eberhard

 

Das TNS-Infratest-Institut hat eine "neue Unterschicht" entdeckt, der SPD-Vorsitzende Kurt Beck vor einem "Unterschichtproblem" gewarnt, der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder ihm ein Denkverbot erteilt: "Dieser Ausdruck stigmatisiert." In der nachfolgenden Debatte werden 'Unterschicht', 'Klassengesellschaft', 'Armut' und 'Verwahrlosung' munter durcheinander gemischt. Ohne begriffliche Klarheit kann keine Diskussion zu fruchtbaren Resultaten führen. Deshalb sei an folgendes erinnert:

Natürlich gibt es die Unterschicht, und der Begriff ist gerade nicht wie der Klassenbegriff polarisierend und schon gar nicht abwertend gemeint. Die Schicht-Soziologie hat immer die sehr fließenden Grenzen zwischen den Schichten betont. Auch innerhalb der Schichten gibt es Übergänge von den sozial Integrierten zu den Nicht-Integrierten, Desintegrierten, Segregierten, Ausgegrenzten. Diese haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

Daß es in allen Industrie- und Leistungsgesellschaften sehr viele Menschen gibt, die durch niedrige Schulabschlüsse und niedrige Einkommen gekennzeichnet sind, wird niemand bestreiten können. Aber Unterschichtangehörige müssen nicht 'arm' sein, es kann schlimmstenfalls von 'relativer Armut' gesprochen werden, d.h. davon, daß das Einkommen deutlich unter dem Durchschnitt liegt. Jemand der nur über die Hälfte des deutschen  Durchschnittseinkommens verfügt, hat immer noch erheblich mehr Kaufkraft als der Durchschnitt der Weltbevölkerung. Das gilt bislang auch noch für Hartz-IV-Empfänger.

Relative Armut kann in einer Wohlstandsumgebung sehr bitter sein, aber sie zwingt nicht zu Vernachlässigung, Mißhandlung und sexuellem Mißbrauch der Kinder. Wenn nun die Funktionäre der Wohlfahrtsverbände die Armut zur Ursache der Verwahrlosung erklären, vertauschen sie aus naheliegenden Lobby-Interessen Ursache und Wirkung. Meistens ist umgekehrt die Verwahrlosung die Ursache der materiellen Verelendung. Es gibt jedenfalls keine einzige Untersuchung, die nachweist, daß Sozialhilfeempfänger - wenn sie seelisch gesund sind - ihre Kinder schlecht behandeln. Demgegenüber gibt es massenhaft empirische Befunde, daß familiär tradierte psychosoziale Defizite einerseits zu Lieblosigkeit und Erziehungsunfähigkeit und andererseits zu dysfunktionalem Umgang mit Geld, insbesondere zu Suchtverhalten führen. Die Ur-Ursachen dieser weit zurück reichenden Kausalketten und Wechselwirkungen sind vielfältig: Kriege, Vertreibungen, Krankheiten, (echte) Armut etc.

Gerade der aktuelle Vernachlässigungs- und Mißhandlungsskandal in Bremen demonstriert ein weiteres Mal, daß Kevin nicht durch mehr Geld - an welche Adresse auch immer - sondern durch intervenierendes staatliches Wächteramt, d.h. durch unverzügliche Herausnahme hätte gerettet werden können. Konsequenter Kinderschutz kostet in solchen Fällen nicht mehr Geld und Personal, sondern weniger, weil nichts kostengünstiger und effizienter ist als eine rechtzeitige Unterbringung in einer geeigneten Pflegefamilie.

s.a. Studie: Acht Prozent gehören zur »neuen Unterschicht«

 

 

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