FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2007

 

zu: Sozialpolitische Reaktionen
auf mangelhaften Kinderschutz

 

Liebe Kollegen und Kolleginnen,

mit großem Interesse habe ich den, wie ich finde, sehr guten Artikel zum Thema mangelnder Kinderschutz in der Ausgabe 12/06 der Zeitschrift "Der Kriminalist" von Prof. Dr. Kurt Eberhard und Soz. Päd. Grad. Gudrun Eberhard gelesen. Dem würde ich mich gern per Unterschrift anschließen und auch etwas aus meinen eigenen Erfahrungen als Sozialpädagogische Familienhilfe und als Systemische Familientherapeutin, die das sehr bestätigen, hinzufügen:

Zunächst möchte ich den Kontext, in dem ich arbeite, so beschreiben:
Ich habe so lange Arbeit, wie ich genug Aufträge vom Allgemeinen Sozialdienst (ASD) des Jugendamtes erhalte. Die KollegInnen messen mich und meine Leistung daran, wie mich die Familien mögen, ich mich mit ihnen verstehe, ich etwas bewirke, die Fallarbeit möglichst nicht so lange dauert, ich nicht so viele Stunden benötige und es möglichst nicht so viele Probleme (komplizierte) gibt. Und natürlich vor allem, wie ich mich mit der ASD-KollegIn verstehe.

Ich bin also die Dienstleistende, die Familie ist Kunde, die ASD-KollegIn die Auftraggeberin. Häufig höre ich Sätze, wie: (Zur Familie) "Wie gefällt sie Ihnen, kommen Sie mit ihr zurecht, ist sie nett..."  

Das ist sicher wichtig, wenn ich im Prozeß aber allmählich die Führung etwas übernehme, der Familie neue Muster anbiete, auch mal kritische Dinge sagen oder besprechen muss, ... und viele dieser Familien haben wenig Reflexionsfähigkeiten, verhalten sich schnell impulsiv, sind sehr einfach strukturiert, oftmals Förderschüler, haben oft wenig Einsicht in die Dinge und haben starke Aggressions- und Wutgefühle. Solche Äußerungen machen die Arbeit nicht leichter. Überhaupt finde ich die Arbeit mit den fallzuständigen ASD-KollegInnen meist viel schwieriger und anstrengender, schon - aber nicht nur - wegen des schwierigen Kontextes.

Hinzu kommt aber, dass die meisten, so vermute ich, kaum Zusatzqualifikationen zu dem regulären Sozialpädagogik-Studium erworben haben. Für diese Arbeit scheint es dafür keine weiteren Bedingungen zu geben!

Häufig habe ich "Unterlassene Hilfeleistungen" in Fällen mitbekommen oder miterlebt, plötzliche Fallbeendigungen u.v.m. in Situationen, in denen ganz eindeutig Kindeswohlgefährdungen und offensichtliche Gefährdungssituationen vorgelegen haben.

Manche KollegInnen scheinen sich weder in der Symptomatik noch in den Folgen auszukennen, aber schlimmer ist, sie wollen es oft auch nicht hören.

Es fehlen einfach gute Ausbildungsstandards bereits für das Sozialpädagogik-Studium (und andere Studienrichtungen im Helferbereich) hinsichtlich traumarelevanter Symptome, Folgen und Verhaltensweisen.

Da diese Helferberufsgruppen in ihrer eigene Familiengeschichte eine oftmals traumatisierte Vergangenheit aufweisen, müssten diese viel mehr in den Ausbildungen berücksichtigt werden und die Stundenzahlen für Selbsterfahrung deutlich höher liegen. Ich vermute, praktisch wird das Thema oft nicht viel weiter (wenn überhaupt!) als bis zur Frage der Hintergrundmotivation für diesen Beruf angegangen.

Überall wird geschwiegen, was das Zeug hält. Das waren zumindest meine eigenen Erfahrungen.

Ebenso sind oft "potentielle Pflegefamilien" Betroffene, und die Jugendamtsmitarbeiterinnen scheinen schon aufgrund ihrer eigenen mangelhaften Ausbildung Schwierigkeiten damit zu haben, zu erkennen, ob die potentielle Pfllegefamilie nicht auch missbrauchende Motive aufweist oder ob sich in dieser Familie im Laufe der Zeit solche Muster bilden. Der Hintergrund, sich als Pflegeeltern sein Geld seit einigen Jahren besser verdienen zu können, macht auch etwas. Ich meine, dass dadurch auch andere Zielgruppen oder Motivationen von Pflegeeltern angesprochen und erreicht werden. 

Eine weitere Schwierigkeit ist der Mangel an (guten?) Pflegefamilien und die fehlende Unterstützung dieser bei der Bewältigung der oftmals hohen psychischen Anforderungen mit Verhaltensauffälligkeiten der Kinder u.v.a.m.

Zurück zur Familienhilfe:
Zu einer guten sozialpädagogischen Arbeit gehört auch ein  guter Schutz und nicht die Gefährdung der eigenen Arbeitstelle durch Abhängigkeit von der Beliebtheit als Helferin bei Eltern und auftraggebenden MitarbeiterInnen, und auch der Schutz der ASD-KollegInnen, wenn diese durch Anzeigen von Tätereltern verängstigt oder verunsichert sind. Manche MitarbeiterIn, so scheint mir, entscheidet sich letztlich sonst für das Schweigen.

Wenn ich zum Gespäch im ASD erlebe, dass ein kleiner Junge im Alter von zwei Jahren einen stark verunsicherten und scheinbar Strafe erwartenden Eindruck macht, sich durch ständig rückversichernde kurze Blickkontakte zu den Erwachsenen im Zimmer suchend verhält und der ASD-Kollege von all dem nichts bemerkt, der drastische Hintergrund der Familie bekannt ist und er nicht die für die Kinder verheerenden Auswirkungen erkennt und adäquat handelt
... wenn eine Jugendliche sich nach Jahren der seelische Deformierung wehrt und dafür wegen Verleumdung (trotz Zeuge ASD) verurteilt wird und sonst kaum Hilfe erfährt
... wenn eine junge Frau mit schweren Posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen Symptomen gerade mal ein viertel Jahr Familienhilfe erhält, diese abrupt beendet wird und sie anschließend wieder "unauffindbar" bleibt
... wenn Alkoholerkrankung und Missbrauch als nicht relevant betrachtet werden,
dann sollten standardisierte Ausbildungsverfahren und Vorschriften (mit Selbsterfahrungsanteilen) schnellstens und vor allem bei den KollegInnen, die eine hohe Verantwortung gegenüber Schutzbefohlenen übernehmen müssen, und das sind ASD-KollegInnen, FamilienhelferInnen, zwingend erforderlich werden.

Im Moment habe ich in meiner Arbeit das Gefühl, dass die Verantwortung des ASD praktisch an die FamilienhelferInnen delegiert werden soll. Wenn sich an der Kontextsituation nichts ändert, kann eine Folge davon noch mehr Schweigen und Schönfärberei (bei einigen KollegInnen) sein, die wieder die Kinder in den Familien bezahlen.

N. N. (der Name ist der Redaktion bekannt)

 

 

[AGSP] [Aufgaben / Mitarbeiter] [Aktivitäten] [Veröffentlichungen] [Suchhilfen] [FORUM] [Magazin] [JG 2011 +] [JG 2010] [JG 2009] [JG 2008] [JG 2007] [JG 2006] [JG 2005] [JG 2004] [JG 2003] [JG 2002] [JG 2001] [JG 2000] [Sachgebiete] [Intern] [Buchbestellung] [Kontakte] [Impressum]

[Haftungsausschluss]

[Buchempfehlungen] [zu den Jahrgängen]

Google
  Web www.agsp.de   

 

 

 

 

 

simyo - Einfach mobil telefonieren!

 


 

Google
Web www.agsp.de

 

Anzeigen

 

 

 

 


www.ink-paradies.de  -  Einfach preiswert drucken