FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2007

 

Die Großeltern als Pflegeeltern ihres Enkelkindes

Besprechung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts

 

Offenbar ergibt sich diese Konstellation immer häufiger: die Mutter des Kindes ist selbst noch zu jung, um schon die Mutterrolle verantwortlich übernehmen zu können; ihre Eltern nehmen das Enkelkind bei sich auf und ziehen es gross. Sie werden Pflegeeltern ihres Enkelkindes.

Zugleich gibt der Beitrag Aufschluss darüber, dass aus einer Verbleibensanordnung durchaus die Konsequenz der Pflegegeldzahlungen herzuleiten ist, wenn auch nicht unmittelbar, so jedoch mittelbar. Es ist hierzu auch auf den Beitrag »Neue Rechtsprechung zu dem Problem Verbleibensanordnung zu Gunsten eines Pflegekindes in der Pflegefamilie und Einstellung der Pflegegeldzahlungen durch das Jugendamt« des Verfassers zu verweisen

Das Beispiel lässt sich dahin variieren, dass die junge Mutter aufgrund psychischer Erkrankung, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit etc., um nur die häufigsten Fallbeispiele zu nennen, nicht in der Lage ist, ihr Kind selbst aufzuziehen. Die Großeltern übernehmen die Verantwortung und Betreuung für das Kind. Meist sind sie selbst noch nicht in so fortgeschrittenem Alter, dass man es ihnen nicht auch zutrauen würde.

Häufig gibt es in derartigen Konstellation in Auseinandersetzungen zwischen Pflegeeltern und dem Jugendamt wegen der Pflegegeldzahlungen. Grundsätzlich sind Großeltern ihren Enkelkindern gegenüber unterhaltsverpflichtet, wenn die Eltern der Kinder selbst nicht in der Lage sind, den Unterhalt für die Kinder sicherzustellen. Dies gilt jedoch nur im Rahmen der vorhandenen Einkünfte der Großeltern, also im Rahmen deren Leistungsfähigkeit. Fehlt die Leistungsfähigkeit, entfällt die Unterhaltsverpflichtung, wie auch sonst im Unterhaltsrecht.

Das Verwaltungsgericht (Urteil vom 30.8.2006 - 13 K 1769/06) und Oberverwaltungsgericht Hamburg (Beschluss vom 14.2.2007 - 4 Bf 282/06.Z) hatten einen Fall zu entscheiden, in dem die junge Mutter unstreitig wegen Alkoholismus nicht erziehungsfähig war. Sie war zwar guten Willens, versuchte immer wieder, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, scheiterte jedoch regelmäßig. Die Großeltern hatten das Enkelkind frühzeitig in einem verwahrlosten Zustand übernommen, hatten es gepflegt und aufgezogen. Die Kindesmutter lebte in der Nachbarschaft und hatte auf diese Weise regelmäßig Kontakt zu ihrem Kind.

Die Sozialarbeiterin eines Jugendamtes empfahl den Großeltern, einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zu stellen, denn schließlich hätten sie einen Anspruch darauf.

Dieser Antrag wurde gestellt. Lange Zeit gab es keine Reaktion. Für die Entscheidung über den Antrag war ein anderes Jugendamt zuständig. Dieses Jugendamt hielt zwar auch die Kindesmutter für nicht erziehungsfähig, hier jedoch den Aufenthalt des Kindes bei den Großeltern nicht für eine geeignete Maßnahme im Sinne von den §§ 27, 33 KJHG/SGB VIII.

Der ablehnenden Bescheid kam nach mehr als einem Jahr nach Antragstellung, und auch erst dann, als der Großvater/Pflegevater sich über die lange Verfahrensdauer bei der vorgesetzten Dienststelle etwas lauter beschwert hat.

Es kam aber nicht nur der Bescheid, sondern eine völlige überraschende Inobhutname des Kindes durch das Jugendamt: das Kind wurde aus der Familie der Großeltern herausgenommen.

Jeder Jugendamtsmitarbeiter weiß, dass eine derartige Inobhutname nur bei einer akuten Gefahr für das Kindeswohl zulässig ist.

Als erstes wunderte sich die Einrichtung, in die das Kind gebracht wurde, weshalb ein derart gut entwickeltes, gepflegtes und in keiner Weise auffälliges Kind vom Jugendamt in Obhut genommen wurde. Dies Kind passte überhaupt nicht zu den übrigen Kindern, die das Jugendamt in der Einrichtung untergebracht hatte.

Auf die Frage des Familienrichters, bei dem die Großeltern und die Kindesmutter eine Verbleibensanordnungen beantragt hatten, konnte das Jugendamt keine Angaben dazu machen, weshalb das Kindeswohl durch die Unterbringung bei den Großeltern  im Sinne der einschlägigen Vorschriften (§ 1666 BGB) so gefährdet gewesen sein soll, dass man das Kind aus der Familie herausnehmen musste.

Das Familiengericht entschied daraufhin durch eine vorläufige Anordnung, dass das Kind sofort zu den Großeltern zurückzubringen sei. In der Hauptsache erging eine Verbleibensanordnungen und der vom Jugendamt beantragte Entzug der elterlichen Sorge wurde zurückgewiesen. Das Kindeswohl sei bei den Großeltern nicht gefährdet. Es bestehe der Eindruck, die in Obhutname durch das Jugendamt sei nicht am Kindeswohl orientiert gewesen sondern habe dazu dienen sollen, dem Großvater zu verdeutlichen, wer am längeren Hebel sitze.

Das Verwaltungsgericht hat der anschließenden Klage der Kindesmutter und der Großeltern gegen die ablehnenden Bescheide auf Zahlung von Pflegegeld und der Versagung der Anerkennung als Pflegestelle stattgegeben:
Die Großeltern wollten ausdrücklich nur als Pflegefamilie für das Enkelkind tätigwerden. Hierfür sei gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII keine Pflegeerlaubnis erforderlich. Die Prüfung der Eignung der Pflegeperson als Voraussetzung für die Hilfe zur Erziehung sei zwar auch bei Verwandtenpflege erforderlich. Dies ergäbe sich aus § 27 Abs. 2a SGB VIII, eingefügt durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) vom 08.09.2005. Dafür sei jedoch kein gesondertes Feststellungsverfahren wie bei Pflegeerlaubnis gegenüber nicht verwandten Pflegepersonen vorgesehen.

Im Falle eines ablehnenden Bescheides könnten die Rechte der als »ungeeignet« bewerteten Pflegepersonen durch ihre Beiladung im gerichtlichen Verfahren gewahrt werden. Im übrigen fehle für die Versagung der Anerkennung der Eltern als Pflegestelle für Ihr Enkelkind eine rechtliche Grundlage. Verwaltungsakte, keine rechtliche Grundlage hätten, verletzten die Betroffenen in ihren Rechten. Daher seien die Bescheide aufzuheben.

Der Bedarf der Kindesmutter für Hilfe zur Erziehung nach §§ 27ff SGB VIII erkenne selbst das Jugendamt an, nachdem der Versuch des Jugendamtes zur Entziehung des Sorgerechts beim Familiengericht gescheitert sei. Die Kindesmutter sei nicht erziehungsfähig. Unterbringung und Betreuung des Kindes außerhalb des Elternhauses sei dringend erforderlich.

Die Unterbringung des Kindes in einer fremden Pflegefamilie sei nicht möglich, da die Kindesmutter damit nicht einverstanden sei. Hilfe zur Erziehung könne aber ohne Gefährdung des Kindeswohls, wie das Familiengericht festgestellt habe, bei der Großmutter geleistet werden.

Gem. §§ 27 Abs. 2a SGB VIII erforderliche Bereitschaft sei vorhanden. Die nach Ansicht des Jugendamtes fehlenden Merkmale der Eignung und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe seien als unbestimmte Rechtsbegriffe gerichtlich voll überprüfbar.

Entscheidungserheblich blieben die häufigen Umzüge, die Verurteilung des Stiefgroßvaters wegen Hinterziehung von Mündelgeldern und die fehlende Bereitschaft zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt.

Die Wohnsituation habe sich stabilisiert. Der Verurteilung und dem daraus resultierenden Misstrauen könne durch Einrichtung eines gesonderten Kontos der Großmutter begegnet werden.

Der Vorwurf der fehlenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt könne nicht einseitig den Klägern angelastet werden:

    »Im Erörterungstermin bestand der Eindruck, dass auch auf Seiten des Jugendamtes die Kooperationsbereitschaft mangelhaft ist. Von der Pflegestellenberaterin wurde der Versuch eines neuen Kontakt des zur Vertrauensbildung ausdrücklich abgelehnt. Bei ihrem Hausbesuch ist nach dem Eindruck der Kläger nicht eine Beratung, sondern eher ein Verhör durchgeführt worden. Die rechtswidrige in Obhutname des Kindes war auch keine vertrauensbildende Maßnahme. Dass auf Seiten des Jugendamtes das eigene Verhalten selbstkritisch reflektiert wurde, ist nicht erkennbar.
    Es kann auch nicht als Strategie akzeptiert werden, die familiären Verhältnisse durch Hinhaltetaktik, Herausnahme des Kindes und Versagung von Hilfe so weit zu destabilisieren, bis das Kindeswohl soweit gefährdet ist, dass ein Antrag gemäß § 1666 BGB Aussicht auf Erfolg verspricht. Vielmehr sollen gem. § 37 SGB VIII die Pflegepersonen beraten und unterstützt werden..... Dass die Klägerin zu 1. (die Großmutter) bereit und fähig zu Kooperation ist, hat sie in der Vergangenheit gezeigt.... Auch die Zusammenarbeit mit der Verfahrenspflegerin war nach deren Bericht vom 5.1.2006 problemlos möglich. Falls mit der Pflegestellenberatung keine Zusammenarbeit wegen unüberbrückbarer gegenseitiger Vorbehalte möglich ist, empfiehlt das Gericht die Einschaltung eines freien Trägers für diese Aufgabe.«

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Jugendamtes gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg entschieden, dass die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und ebenso der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gegeben seien. Der Einwand des Jugendamtes gegenüber der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Familie der Klägerin (die Großeltern des Kindes) sei keine »andere Familie« im Sinne der §§ 27 Abs. 2 a, 33 SGB VIII, sei nicht stichhaltig.

    »Grundsätzlich gehören Großeltern nicht zur Herkunftsfamilie und stellen eine »andere Familie« im Sinne der Vorschriften dar (BVerwG NJW 1997, 2831; Wiesner, SGB VIII, (2006), § 27 Rn 26 a, § 33 Rn 21).

    Der Begriff der Familie im Sinne der §§ 27, 33 SGB VIII ist funktional zu sehen. Ausschlaggebend für die rechtliche Einordnung als Familie ist insoweit, dass in einem privaten Haushalt konstante Bezugspersonen für das Kind verfügbar sind, die seinen Bedürfnissen Rechnung tragen. Im Gegensatz hierzu stehen in der Herkunftsfamilie, deren unzureichende Erziehungsbedingungen Grund für die Erziehung in einer »anderen Familie« sind, keine festen Bezugspersonen konstant für das Kind zur Verfügung. Entscheidend ist die konkrete familiäre Situation (vgl. Wiesner, SGB VIII, (2006) § 33 Rn 21). «

Unstreitig sei die Kindesmutter wegen ihrer persönlichen Lebensverhältnisse und Probleme zur Zeit nicht in der Lage, ihr Kind angemessen zu erziehen. Dies stelle auch das Jugendamt nicht infrage. Demgegenüber werde das Kind in der Familie der Großeltern konstant betreut und habe dort seinen festen Lebensmittelpunkt, auch wenn die Kindesmutter ihr Kind dort regelmäßig besuche und sich sogar häufiger dort aufhalten sollte. Die Kindesmutter habe sich bereits seit Jahren vollständig aus den elterlichen Haushalt gelöst und in eigenen Wohnungen gelebt, wenn sie auch gelegentlich unter derselben Adresse wie die Großmutter amtlich gemeldet war. Zumindest habe die Kindesmutter nicht durchgehend mit ihrer Tochter zusammengelebt. Die Kindesmutter habe auch in Zukunft nicht vor, in den elterlichen Haushalt zurückzukehren.

Aus diesen Entscheidungen wird folgendes deutlich:
Großeltern sind Pflegeeltern wie andere auch, und zwar auch dann, wenn sie ihrer eigenen Enkelkinder in Pflege genommen haben. Sie sind eine »andere Familie« im Sinne des SGB VIII. Die Besonderheit liegt im Unterhaltsrecht: Großeltern sind - Leistungsfähigkeit vorausgesetzt - ihren Enkelkindern gegenüber unterhaltsverpflichtet.
Großeltern als Pflegeeltern sind nicht von vornherein eine »ungeeignete Maßnahme«. Die Frage der Eignung muss im Einzelfall geprüft werden. Es darf deshalb auch nicht das Pflegegeld im Rahmen einer notwendigen Maßnahme gem. §§ 27, 33 SGB VIII verweigert werden, etwa mit der Begründung, die Pflegeeltern seien  »nur« die Großeltern.

Peter Hoffmann
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Familienrecht

 

 

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