FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2003

 

Stellungnahme des Vorstands
des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern e.V.

zum Entwurf der Ausführungsvorschriften
über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege

(Entwurf vom 22.10.2002)

 


Im Arbeitskreis zur Förderung von Pflegekindern e. V. engagieren sich seit 1974 Pflegeeltern, Tagesmütter und -väter für eine Verbesserung der Situation von Pflegekindern. Dazu gehören auch entsprechende Rahmenbedingungen wie z.B. Ausführungsvorschriften zum AG-KJHG. Seit dem Inkrafttreten des KJHG vor mehr als zehn Jahren setzen wir uns für entsprechende Ausführungsvorschriften ein. Wir begrüßen, dass jetzt ein Entwurf einer AV über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege vorgelegt wurde. Er versucht eine längst fällige Anpassung der Verwaltungsvorschrift an das KJHG.

Stellvertretend für unsere ca. 600 Mitglieder möchten wir als Vorstand wie folgt Stellung nehmen:

Aus unserer Sicht ist positiv hervorzuheben:

  • die Voraussetzung der Qualifikation durch eine Pflegeelterschule für alle Pflegeeltern
  • regelmäßige Supervisionen, Fortbildungen und Beratungen, zu denen sich die Pflegeeltern verpflichten müssen
  • die Begrenzung der befristeten Vollzeitpflege auf drei Monate
  • die Fortschreibung einer klareren Zukunftsperspektive für das Kind
  • Pflegeeltern-Ausweise
  • die längst fällige Anhebung des Erziehungsgeldes auf 450 Euro für die Vollzeitpflege


Als problematisch sehen wir an:

Die streng reglementierte Zahl von Pflegekindern in einer Familie ist fraglich. Eine Empfehlung wäre realistischer, denn die Sozialarbeiter vor Ort sollten Entscheidungsspielräume für Einzelfälle haben.

Die Fortsetzung der Hilfe bei Eintritt der Volljährigkeit darf nicht zur Verhandlungssache gemacht werden. Ausgangspunkt der Überlegungen hat die Selbstständigkeit und der Stand der Ausbildung des Pflegekindes zu sein. Werden hier zu früh Hilfen abgebrochen, werden nur Kosten verlagert, da ein Scheitern der Jugendlichen in der Gesellschaft meist vorprogrammiert ist. Das kann nicht Ziel von jahrelanger Erziehungshilfe sein.

Wenn Kinder nach den § 35 a SGB VIII oder § 39 BSHG anspruchsberechtigt sind, dann ist es eine extreme Ungleichbehandlung, betreuenden Institutionen wie Heimen die Unterstützung bei erweitertem Förderbedarf zuzusichern, aber den Pflegefamilien das Gleiche zu verweigern oder nur als Möglichkeit einzuplanen. Wenn Kinder soviel Unterstützung benötigen, dass ihnen gesetzliche Ansprüche daraus erwachsen, benötigen sie diese intensive Unterstützung gerade auch in ihren Pflegefamilien.

Die Häufigkeit der Überprüfung des erweiterten Förderbedarfes ist aus mehreren Gründen untauglich. Für die Kinder, die ohnehin schon sehr viel häufiger zu Ärzten, Therapeuten und Psychologen müssen, ist es entwürdigend, Jahr für Jahr „getestet“ zu werden. Des Weiteren zeigt die Erfahrung, dass sich Symptome kurzzeitig bessern und später in der gleichen Intensität wieder auftreten.

Bedauerlicherweise gehen diese Reformen zu Lasten der bisher erfolgreich arbeitenden heilpädagogischen Pflegestellen, wo schwierige bzw. behinderte Kinder eine Familie gefunden haben, die ihnen eine günstigere Perspektive bietet und zudem erhebliche Kosten im Vergleich zu einem adäquaten Heimplatz einspart.

Dass bei der Unterbringung von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf keine berufliche Qualifikation mehr erwartet werden soll, hat zwangsläufig die Verschlechterung der Grundvoraussetzung und Vorbereitung der Pflegeeltern zur Folge. Alle Pflegeeltern haben nun die Möglichkeit nach 3 statt wie bisher 18 Monaten Vorbereitung an einer Pflegeelternschule ein Kind mit erhöhtem Förderbedarf vermittelt zu bekommen, dessen Förderbedarf ohne Fachwissen schwer einschätzbar ist. Es folgt ein Zitat aus der Informationsschrift der PES des Senats von November 97:

„Gerade das Zusammenleben mit behinderten (seelisch oder geistig oder körperlich) und nicht einschlägig aus- und vorgebildeten Eltern im isolierten kleinfamiliären Rahmen ist häufig gefährdet durch wechselseitige Überforderung bei gleichzeitig hohen bis überhöhten Ansprüchen der Eltern an sich selbst, bezogen auf nahtlose Integration des Kindes in ihre Familien. Berlin ist unstrittig ein sozialer Brennpunkt und mit anderen, wesentlich kleineren Stadtstaaten nicht vergleichbar. Dieses hat 1981 zur Gründung der Pflegeelternschule geführt im Zusammenhang mit der noch heute gültigen Tatsache, dass der Anteil der Fremdunterbringungen sehr hoch ist und das Verhältnis von Heimunterbringungen zur Vermittlung in Pflegefamilien zunehmend in die fachliche Kritik geraten ist neben dem in Zeiten knapper Mittel hohen Kostenfaktor.“

Wir glauben, dass die positive Entwicklung, Pflegekinderdienste an freie Träger zu übertragen sowie die Anwerbung von neuen Pflegeeltern, erschwert wird, wenn psychosomatisch gestörte (missbrauchte, vernachlässigte, misshandelte) Kinder ohne ausreichende Qualifizierung der Pflegeeltern vermittelt werden. Dieser nicht unerheblich hohe Anteil von Pflegekindern würde hinsichtlich der hieraus resultierenden Betreuungsabbrüche

1. die Heimunterbringungen erheblich zunehmen lassen
2. die Aufnahmebereitschaft der Pflegeeltern sukzessive abnehmen lassen.

Ebenso ist eine Absenkung des Erziehungsgeldes zur bisherigen Leistung kontraproduktiv. Eine Vollzeitpflegestelle muss unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in langfristiger Planung arbeiten können, da die betreuenden Pflegepersonen auf Jahre ihren Beruf aufgeben. Selbst der Vorschlag einer möglichen begrenzten Arbeitszeit, dessen arbeitsmarktpolitische Durchsetzung zweifelhaft scheint, würde die Qualität und Intensität der Betreuungs-/Erziehungsleistung mindern.

Hilfe und Entlastung im sozialen Bereich sind in der Regel sehr kostenintensiv. Die Reflexion eigener Grenzen und die Bereitschaft Hilfen anzunehmen sowie die Möglichkeit Hilfen zu erhalten sind ein Ziel, das auch für Pflegefamilien gelten muss. Wer finanziert hier Entlastung? Bislang haben heilpädagogische Pflegestellen vieles allein finanziert. Das ist mit dem verminderten Erziehungsgeld nicht mehr möglich. Pflegekinder mit erweitertem Förderbedarf können nicht von Babysittern betreut werden, wenn die Erziehungsperson Entlastung oder Vertretung benötigt. Eine Stunde kompetenter Betreuung kostet mindestens 10 €.

Die im Punkt 14 des Entwurfs vorgesehene Überführung bestehender Verträge, die bei heilpädagogischen Pflegestellen der Fall wäre, ist nicht zu akzeptieren. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass ein solches Vorgehen den Fortbestand der bestehenden heilpädagogischen Pflegestellen gefährdet.

Diese Pflegeeltern konnten am Anfang des Pflegeverhältnisses unter Abwägung aller Rahmenbedingungen entscheiden, jetzt können sie das nicht mehr. Das einmalige Ja zu dieser Tätigkeit ist oft ein Ja mindestens bis zur Selbstständigkeit ihres Pflegekindes, oft auch darüber hinaus. Die große Verantwortung, die heilpädagogische Pflegeeltern für ihre Kinder übernommen haben, hat zum Teil auch das Land Berlin gegenüber diesen Menschen zu tragen. Die Kürzung des Erziehungsgeldes lässt ein Gefühl von Willkür bei den Betroffenen zurück.

Nicht wenige wären in ihrer Existenz bedroht. Sozialversicherung und Altersvorsorge wären kaum mehr bezahlbar, Entlastung unerschwinglich. Über Jahre gesicherte Qualität wäre gefährdet.

Eine Einkommenskürzung von ¼ des „Gehaltes“ würde in jeder anderen Berufsgruppe zu juristischen Konsequenzen führen!


Der Wegfall der heilpädagogischen Tagespflege als Form der Hilfe zur Erziehung stellt einen Rückschritt in der Berliner Tagespflege dar. Sie wurde entwickelt, um Eltern vor allem kleiner Kinder in ihrer Erziehungsaufgabe zu unterstützen und um Fremdunterbringung zu vermeiden. Besonders häufig nehmen Eltern mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen Hilfe zur Erziehung in Tagespflege in Anspruch. Ihre Kinder haben zumeist große Entwicklungsrückstände bzw. sind durch die häusliche Situation von seelischer Behinderung bedroht.

Die Tagespflegeeltern müssen als Befähigung für diese Tätigkeit eine (sozial-)pädagogische Ausbildung nachweisen oder durch den Besuch der Pflegeelternschule Tagespflege eine entsprechende Qualifikation erlangen. Die Pflegeelternschule Tagespflege wird in der Sozialpädagogischen Fortbildungsstätte des Landesjugendamtes im Jagdschloss Glienicke (ehem. Haus Schweinfurthstraße) angeboten. Sie wurde 1994 unter Mitarbeit des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern e. V. ins Leben gerufen und konzipiert. Zurzeit werden in Berlin ca. 50 Kinder in Tagespflegestellen im Rahmen von Hilfe zur Erziehung betreut. Um ein Mehrfaches höher ist die Anzahl von Tagespflegekindern, die eine Behinderung haben oder deren Familien Hilfe benötigen, ohne dass dieser Zustand durch die §§ 39, 49 BSHG anerkannt ist.

Insbesondere die zuständigen Jugendämter sollten an der Hilfe zur Erziehung in Tagespflege interessiert sein, bietet sie neben den pädagogischen Vorteilen auch noch den strukturellen Vorteil, den die Tagespflege sowieso inne hat: Sie ist flexibel einsetzbar und auch bei finanziell großzügiger Ausstattung sicherlich immer noch wesentlich preiswerter als das Vorhalten von Integrationsplätzen in Kindertageseinrichtungen.


Beim Wegfall der Hilfe zur Erziehung in Tagespflege

  • würde das vermehrte stationäre Unterbringungen kleiner Kinder in Pflegefamilien oder Heimen zur Folge haben, weil das stabilisierende Element, das eine Tagesbetreuung in einer qualifizierten Tagespflegefamilie ist, nicht mehr zur Verfügung steht,
  • würden Kinder aus schwierigen Verhältnissen u.U. von nicht ausgebildeten bzw. nicht für diese Aufgabe besonders geeigneten Tagesmüttern betreut. Diesen Kindern würde in der Tagespflege-Betreuung eine auf Ihrer spezielle Situation abgestimmte Förderung verwehrt bleiben, was dann mit anderen, teureren Hilfeangeboten realisiert werden muss,
  • würden die Tagespflegeverhältnisse aufgrund der Überforderung nicht ausreichend qualifizierter Tagesmütter bald wieder beendet werden und die Kinder würden Beziehungsabbrüche (wahrscheinlich mehrere) verkraften müssen.

Die Betreuung von Kindern im Rahmen der Hilfe zur Erziehung in geeigneten Pflegefamilien als analoges Angebot zu Tagesgruppen ist in § 32 KJHG ausgeführt und kann nicht durch eine Ausführungsvorschrift außer Kraft gesetzt werden.



Zusammenfassend erwarten wir Nachbesserung zu folgenden Punkten:

  • Festlegung der Anzahl von Pflegekindern in einer Familie
  • Zuerkennung des erweiterten Förderbedarfes bei Feststellen oder Nachweis einer (drohenden) Behinderung gemäß § 35 a SGB VIII oder § 39 BSHG
  • Prüfung auf Fortsetzung der Hilfe bei Eintritt der Volljährigkeit
  • Turnusmäßige Überprüfung des erweiterten Förderbedarfs
  • Qualifizierung heilpädagogischer Pflegestellen
  • Absenkung des Erziehungsgeldes für heilpädagogische Pflegestellen
  • Überführung bestehender Verträge lt. Punkt 14
  • Wegfall der heilpädagogischen Tagespflege.

Vorstand
Arbeitskreis zur Förderung von Pflegekindern e. V.

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Stellungnahme
aus der Sicht einer heilpädagogischen Pflegestelle

zum Entwurf der Ausführungsvorschriften
über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege

(Entwurf vom 22.10.2002)

In unserem Haushalt leben drei heilpädagogische Pflegekinder. Kind eins und zwei (aus Gründen des Datenschutzes sei diese kantige Bezeichnung verziehen) sind alkoholgeschädigt und Kind eins zusätzlich schwer traumatisiert, Kind zwei ist zusätzlich bindungsgestört. Beide Kinder sind verhaltensauffällig und besuchen Sondereinrichtungen für Vorschulkinder.

Das jüngste Kind hat einen Hydrozephalus und ist ebenfalls schwerst traumatisiert. Es ist schon über ein Jahr alt und kann höchsten drei Stunden am Stück schlafen, bevor es von Alpträumen heimgesucht wird. Außerdem hat das jüngste Kind Atemprobleme im Schlaf und wäre denen bereits einmal fast erlegen.

Mein Mann arbeitet Vollzeit außer Haus, besucht aber hin und wieder mit mir gemeinsam Fortbildungen, denn schließlich ist mein Beruf auch unsere Familie , in der der Ehemann nicht nur Vater sein kann, sondern auch andere Leistungen erbringen muss. Ich habe Sonderpädagogik studiert, noch während des Examens unsere älteste Pflegetochter (heute fünf Jahre alt) aufgenommen und nach Abwägung ihrer Bedürfnislage und meinen beruflichen Wünschen entschieden, mich ganz und gar um das Kind zu kümmern, das zum damaligen Zeitpunkt schon sehr auffällig war und ständige Präsenz forderte. Es fiel die Entscheidung, zu einem geeigneten Zeitpunkt, ein zweites heilpädagogisches Kind aufzunehmen und dies als meine Berufstätigkeit anzusehen. Wir nahmen in Kauf, dass mir damit jede soziale Absicherung fehlen würde, ich einen sehr sicheren und gut bezahlten Beruf aufgebe und nach Verselbstständigung der Kinder weit vor Erreichen des Rentenalters quasi arbeitslos dastehen würde. Trotzdem erlaubte die Höhe des Erziehungsgeldes diesen gewagten Schritt zu gehen, da uns damit ein gewisser Handlungsspielraum blieb, innerhalb dessen wir die sozialen Unwägbarkeiten auffangen wollten (private Krankenversicherung, private Altersvorsorge). Damals war das politisch auch genauso gewollt. Statt der Arbeit nachzugehen, kümmerte sich die qualifizierte Erziehungsperson ganz und gar um das oder die heilpädagogischen Kinder. Für die Aufgabe der Berufstätigkeit nahm man in Kauf, dass diese Frauen (und Männer) sich in eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Erziehungsgeld begeben. In dieser Abhängigkeit bleiben sie bis zur Verselbstständigung ihrer Kinder! Man kann diesen Vertrag nicht einfach einseitig brechen, denn uns bleibt gar keine Alternative.

Ich kann hier kaum beschreiben, was wir in diesen fünf Jahren geleistet haben, aber es ist viel mehr als das, was in den Ausführungsvorschriften gefordert wird. Fortbildungen waren immer obligatorisch, nicht nur die für Pflegefamilien, sondern auch Zusatzausbildungen. So habe ich noch das heilpädagogische Montessoridiplom abgelegt und werde im kommenden Jahr eine Fortbildung zum Thema Verhaltenstherapie machen. Diese Qualifizierungen kosten mich mehrere tausend Euro. Ich habe mehrere Therapien bei den Kindern selbst durchgeführt, manchmal war das sogar im Hilfeplan verankert, natürlich ohne zusätzliche Gegenleistungen. Die Notwendigkeit ergab sich entweder aus einem nicht vorhandenen anderen Angebot oder schlicht aus der Tatsache, dass die Kinder einfach niemanden Fremdes ertragen haben. Unser zweites Kind z. B. drohte in eine schwere Behinderung der Kommunikation zu rutschen. Die logopädische Behandlung habe ich, dank der Ausbildung, selbst übernommen und mit Elementen der Montessoritherapie kombiniert. Das Kind ist heute drei Jahre und sechs Monate alt. Es hat viele Probleme, aber sprachlich ist es gänzlich unauffällig, sprachstrukturell seinen Altersgefährten manchmal überlegen. Dafür wurde es zu keiner Therapie gebracht, sondern unmerklich wurden im Alltag Situationen geschaffen, die eine spezielle Förderung erlaubten, ohne den Kleinen aus seiner Umgebung in eine künstliche Situation zu bringen.

Unser jüngstes Kind fordert neunzehn Stunden am Tag und in der Nacht Betreuung. Es hatte bis vor kurzem Angst vor allem und jedem. Nicht einmal im Kinderwagen konnte man es fahren, man musste es immer am Körper tragen. Der Kopf war völlig verschoben, die Gesamtentwicklung retardiert. Wir haben mithilfe von Supervision, Kooperation mit Therapeuten (kein SPZ, sondern selbst gesuchte Experten auf diesem Gebiet!) und Ärztinnen ein Konzept umsetzen können, das es diesem Kind nach nur sechs Monaten erlaubt, ein wenig am Leben teilzunehmen, d. h. man kann es im Wagen fahren, kann Leute besuchen, manchmal sogar in kleine Läden einkaufen gehen.

Hier war Teamfähigkeit gefragt, denn alle Helfer mussten immer wieder neu prüfen, ob die jeweilige Förderung eine vordringliche des anderen blockiert. Die Schädeldeformation konnte sehr gemildert werden und präventiv ist alles unternommen, um keinen Hirndruck entstehen zu lassen. Schlafen kann es noch nicht. Es verlangt uns nächtlichen Schichtbetrieb ab, aber wir haben schon viel geschafft. Werde ich in Zukunft bestraft, wenn wir zu viel schaffen, weil sich das Kind zu gut entwickelt? Sind wir nur noch hoffnungslose Idealisten, weil wir bis an unsere Grenzen und darüber hinaus gehen, um die Entwicklungspotentiale der Kinder auszuschöpfen?

Das erste Kind sollte schon mal den § 39 BSHG aberkannt bekommen. Da war sie 1 1/2 Jahre alt und gut gefördert. Aber dahinter steckte viel Arbeit und Feingefühl, denn natürlich sind wir in erster Linie Familie, die die Kinder nach dem Erlebten besonders brauchen. Die Kleine hatte zum Zeitpunkt der Überprüfung durch einen „Fachdienst“ noch viele Probleme, vor allem psychische. Hat niemanden interessiert - Integrationsstatus aberkannt. Mit fünf Jahren ist sie immer noch toll entwickelt, aber nicht mehr integrationsfähig . Man hatte ihr zu lange verwehrt, was sie dringend gebraucht hätte. Die Integration in der Kindergruppe konnten wir nicht selbst leisten. Sie kann nur noch in eine Sondereinrichtung. Dort geht es ihr endlich gut, aber das hätte nicht so kommen müssen. Und es hätte nicht dieser kummervolle Weg dahin sein müssen. Aber ist das in Zukunft vielleicht gewollt: fördern - fallen lassen - aussortieren?

Ich grübele oft, welche Ideen hinter der Veränderung der heilpädagogischen Pflege stecken könnten. Hat die Kinder dabei jemand mitbedacht? Wurden Langzeitstudien zum Thema verwendet, z. B. zum Thema Entwicklung von Kindern mit FAE (der Schwachform der Alkoholschädigung, die schlechter zu diagnostizieren, diffus in ihrem Erscheinungsbild, aber katastrophal in den Langzeitfolgen ist - dabei scheinen die Kinder irgendwie zu funktionieren)? Hat die Qualität der heilpädagogischen Pflege interessiert? Hat jemand mal hinterfragt, wie erfolgreich diese Form der Hilfe zur Erziehung im Vergleich zu anderen ist? Ist die Professionalität einzelner Pflegeeltern zu anstrengend geworden?

Wenn kommt, was geplant ist, bleibt von unseren Ausgangsüberlegungen nicht viel übrig. Wir waren bereit, viel Professionalität (Therapeut, Ausbildung), ausreichend Fortbildung einzubringen und außerdem und vor allem stabile Familie (inklusive der ganzen emotionalen Betroffenheit) zu sein. Wir haben uns selbst um Supervision bemüht, haben ein soziales Netz aufgebaut und ein Helfersystem installiert. Wir arbeiten im engen Austausch mit Helfern und Jugendamt. Manchmal erinnert mich unsere Arbeit an die Arbeit innewohnender Erzieher mit einem entscheidenden Unterschied: Wir bieten unsere Familie total und auf Dauer und im Generationengefüge. Und wir haben keinen Anspruch auf Urlaub und sonstige Sozialleistungen. Wir sind billiger. Und offenbar sind wir in unserer Liebe zu den Kindern ausnutzbar. Wenn es zu den Verschlechterungen im Bereich der heilpädagogischen Pflege kommt, werden wir in Existenznot kommen, nicht was die aktuelle Versorgung betrifft, nein, vor allem was die Absicherung der Zeit nach den Kindern und was die Aufrechterhaltung der Rahmenbedingen für die Kinder betrifft. Ich kann aus der Bedürfnislage der Kinder heraus nicht arbeiten und niemand wäre so dumm, mich zu beschäftigen - mit drei behinderten Kindern. Ich wüsste auch nicht, wann ich das tun sollte, bei neunzehn Stunden derzeitiger „Arbeitszeit“. Wir haben die fünf Jahre stets darum gerungen, unsere Arbeit noch besser zu machen, den Rahmen für die Kinder optimaler zu gestalten. Ich hätte es gerne gesehen, wenn man von heilpädagogischen Pflegeeltern mehr an Verbindlichkeiten fordert, einfach weil bekannt ist, dass die Kinder immer schwieriger werden. Ich hätte mich gerne fordern lassen, weil es am Ende nur darum gehen kann: Den Kindern eine Chance zu geben. Und eines kann ich ihnen versichern: Diese Kinder wachsen nicht so „nebenbei“ heran, nur weil man ihnen eine Familie gibt, ohne ihnen die andere zu nehmen. Leider reicht das nicht aus.

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Kurzschilderung
einzelner aktueller Fälle von Hilfe zur Erziehung in Tagespflege,
die uns von Tagesmüttern berichtet wurden

Martin * (11 Jahre) lebt mit seiner Mutter allein. Sie bezieht Sozialhilfe und hat Hilfe zur Erziehung nötig, weil sie manches Alltägliches alleine nicht gut bewältigt. Das Jugendamt hat ihr eine Tagesmutter vermittelt, die Martin nach der Schule betreut. Sie achtet darauf, dass er seine Schularbeiten macht, die Materialien für die Schule beisammen hat und erinnert die Mutter z.B. daran, dass ein Elternabend stattfindet. Sie hilft ihr das Kleidergeld beim Sozialamt zu beantragen und sorgt dafür, dass Martin jahreszeitentsprechend gekleidet ist. Wenn Martin nicht rechtzeitig in der Schule erscheint, steigt die Tagesmutter ins Auto, holt ihn von zuhause ab und bringt ihn zur Schule. Ohne diese familienunterstützende Maßnahme müsste Martin in absehbarer Zeit fremduntergebracht werden, wovor er große Angst hat.

Kai * wurde mit 1,5 Jahren vom ASPD in Tagespflege vermittelt. Er wurde bis dahin nur wie ein Baby versorgt, lag viel im Bett, konnte weder krabbeln noch laufen und kannte nur Flaschennahrung. Seine Mutter ist psychisch krank und hatte schon mehrere Aufenthalte in Kliniken hinter sich. Ihre größte Sorge war, dass Kai etwas passieren könnte, wenn er selbstständiger würde. Der Vater ist berufstätig und kann sich daher erst nach Feierabend um Kai kümmern. Kai war 3 Jahre in einer heilpädagogischen Tagespflegestelle. Er hat inzwischen seine Entwicklungsdefizite aufgeholt und kann sprechen, laufen, springen, die Toilette benutzen usw. Er besucht seit kurzem eine Kindertagesstätte. Gelegentlich holt sich die Mutter in für sie schwierigen Situationen noch immer bei ihrer vertrauten Tagesmutter Rat.

Benjamin * (12 Jahre) wird seit drei Jahren von Tagespflegeeltern nach der Schule betreut. Er besucht eine Sonderschule für Lernbehinderte. Die ersten drei Lebensjahre hat Benjamin in einem Heim verbracht, seit dem lebt er bei seinem Vater. Seine Mutter kennt er nicht. Die Familienverhältnisse sind angespannt und vielfältig belastet. Die Tagespflegeeltern sorgen für zusätzliche Förderangebote, den Besuch einer Therapie und die regelmäßige Erledigung der Schulaufgaben. Benjamin ist mit seinem Vater sehr glücklich, die beginnende Pubertät verlangt beiden jedoch viel ab. Die Tagespflegefamilie stellt eine enorme Unterstützung für sie dar.

Marie* (1 Jahr) hat schwer hörbehinderte Eltern. Sie selbst kann hören und soll bei der Tagesmutter die verbale Sprache lernen. Mit der Aufgabe, für Marie sorgen zu müssen, sind ihre Eltern aufgrund ihrer Behinderung sehr gefordert und brauchen häufig Unterstützung z.B. in der Kommunikation mit dem Kinderarzt. Für Maries Gesundheit und Entwicklungsförderung fühlt sich die Tagesmutter besonders verantwortlich. Ihre Eltern sind der Tagesmutter dafür sehr dankbar und können so das Leben mit ihrem Kind gut meistern und genießen, wie andere Eltern auch.

*Die Namen wurden geändert.

(Januar 2003)

weitere Informationen unter http://www.arbeitskreis-pflegekinder.de/

 

 

 

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