FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2003

 

Antwortschreiben auf unsere Stellungnahme zum Februar-Entwurf der Berliner
Ausführungsvorschriften Vollzeitpflege

 

Auf unser Schreiben an den Berliner Senator für Bildung, Jugend und Sport vom 16. März zu den Entwürfen der Ausführungsvorschriften Vollzeitpflege erhielten wir den nachfolgend publizierten Antwortbrief. Die Rückäußerung der AGSP werden wir in Kürze ebenfalls hier veröffentlichen.
C.M. (Mai 2003)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für Ihr engagiertes Schreiben vom 16. März 2003.

Ihren Ausführungen ist zu entnehmen, das Ihnen bereits unterschiedliche Entwurfsfassungen zu den geplanten Ausführungsvorschriften im Bereich der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege vorliegen.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport hat in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit den Bezirken nach Analyse der bisherigen Praxis und der bestehenden Ausbauhemmnisse die komplexen Grundlagen für eine Neustrukturierung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege, einschließlich der entsprechenden Verfahren und rechtlichen Veränderungen im Rahmen von Ausführungsvorschriften erarbeitet. Im Verlauf dieser Arbeit entstanden unterschiedliche Arbeitsentwürfe, die mit den Bezirken und dem Landesjugendamt abgestimmt und z. T. auch auf der Trägerebene erörtert wurden. Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Entwurf mit Stand vom Februar 2003 um eine interne Fassung mit vorläufigem Arbeitsstand handelt, der bisher für eine Veröffentlichung nicht vorgesehen ist, da er noch auf verschiedenen Ebenen hausintern in der Verwaltung und gemeinsam mit den Bezirken geprüft und überarbeitet wurde. Eine Veröffentlichung der Ausführungsvorschriften ist erst vorgesehen, wenn das erforderliche Beteiligungs- und Mitzeichnungsverfahren mit allen Beteiligten abgeschlossen ist.

Im Hinblick auf die von Ihnen in Ihrem Schreiben dargelegte Befürchtung einer Schlechterstellung heilpädagogischer Pflegeeltern möchte ich Ihnen folgendes mitteilen.

Die o.g. Arbeitsgruppe hat nach Analyse der bisherigen Situation als ein Hinderungsgrund für den Ausbau der regulären Vollzeitpflege das erhebliche Ungleichgewicht hinsichtlich des Erziehungsgeldes der "normalen" Vollzeitpflege mit gegenwärtig 179 gegenüber dem Erziehungsgeld der heilpädagogischen Pflegestelle mit 959 gesehen. Die Schere zwischen den beiden Formen der Vollzeitpflege, die in dieser Höhe heute fachlich nicht mehr zu begründen ist, wirkt sich zu ungunsten der allgemeinen Vollzeitpflege aus. Sie führt dazu, die 'normale' Vollzeitpflege unzulässig zu entwerten, denn auch Pflege-personen im Rahmen der normalen Vollzeitpflege sind mit erheblichen Entwicklungs-beeinträchtigungen ihrer Pflegekinder und damit verbundenen Anforderungen konfrontiert, ohne dass dies bisher in den finanziellen Leistungen für die Pflegeeltern zum Ausdruck kam. Die Höhe des Erziehungs- und Pflegegeldes orientiert sich bisher an der Art der Pflegestelle (spezialisiert oder nicht spezialisiert), jedoch nicht am erzieherischen Bedarf des Pflegekindes, der sich im Verlauf der Hilfe ändern (mindern bzw. steigern) kann.

Mit der vorgesehenen Neustrukturierung im Bereich der Hilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege sollen über Jahre engagierte Pflegeeltern nicht kurzfristig schlechter gestellt werden. Zur Gewährleistung des Vertrauensschutzes und der Beziehungskontinuität sind daher angemessene Übergangsregelungen für alle bestehenden Pflegeverhältnisse vorgesehen. Diese Übergangsregelungen führen einerseits zu einem langsamen Abschmelzen der im Verhältnis zu hohen Zulagen im Erziehungsentgelt für "heilpädagogische Pflegestellen" (alt) und andererseits parallel zu einer Anhebung des allgemeinen Erziehungsentgelts, um insgesamt Kostenneutralität erreichen zu können. Es ist dabei davon auszugehen, dass die finanzielle Aufwertung der allgemeinen Vollzeitpflege, zusammen mit kontinuierlich gesicherter fachlicher Begleitung, Anreize für neue Pflegeeltern bieten wird. Die Umsetzung der fachlichen und strukturellen Weiterentwicklung für die Werbung, Vermittlung, Begleitung und Qualifizierung von Erziehungspersonen/Pflegeeltern sowie Beratung und Begleitung der Herkunftsfamilie sollen dabei verstärkt freie Träger übernehmen.

In Ihrem Schreiben machen Sie ferner Ausführungen zur Problematik von Umgangskontakten des Pflegekindes mit seinen Herkunftseltern und zu seiner möglichen Rückführung. Ihre kritische Haltung hierzu mag vor dem Hintergrund Ihrer langjährigen , Praxiserfahrung in der begleitenden Arbeit mit Pflegeeltern verständlich sein. Viele Pflegefamilien können sich nicht vorstellen, dass es im Interesse des Kindes liegt, mit der Herkunftsfamilie zusammenzuarbeiten. Andere sind jedoch davon überzeugt, dass es ihren Pflegekindern gut geht, wenn die Herkunftsfamilie Bedeutung behält. Dagegen gibt es auch Pflegeeltern, die darunter leiden, dass die Herkunftseltern weiterhin den Kontakt zu ihren Kindern suchen und aufrechterhalten wollen.

Pflegeeltern beeinflussen die Kinder - unabhängig, ob sie Kontakte zu ihren Eltern haben oder nicht - je nach ihrer inneren Haltung für oder gegen ihre Eltern. Durch jeden Konflikt zwischen Herkunftseltern und Pflegeeltern geraten die Kinder in tiefe Loyalitätskonflikte. Das Pflegekind lebt im Spannungsfeld zwischen Pflegefamilie und leiblicher Familie. Pflegefamilien sind "Privatfamilien" und erbringen zugleich eine Leistung für die öffentliche Jugendhilfe. Dieses strukturell angelegte Spannungsfeld zwischen Kind, Herkunfts- und Pflegefamilie bleibt für alle Beteiligten schwierig und belastend, wenn es nicht gelingt, die vorhandenen Spannungen abzubauen, die gegenseitigen Aufträge zu klären und zu respektieren und "zum Wohle des Kindes mit der Herkunftsfamilie zusammenzuarbeiten" (§ 37 SGB VIII).

Pflegefamilien können Lebensorte auf Zeit oder auf Dauer sein. Wenn eine Rückkehr des Kindes oder Jugendlichen in seine Herkunftsfamilie angestrebt werden kann, haben Pflegefamilien den Auftrag, das Kind für einen begrenzten Zeitraum zu begleiten. Unterstützung und Beratung der Herkunftsfamilie zur Förderung ihres Erziehungspotenzials sind dann wichtige Bestandteile der Hilfe und Voraussetzung für eine mögliche Rückkehr des Kindes innerhalb eines am kindlichen Zeitempfinden orientierten Zeitraums. Wird im Verlauf des Entscheidungsprozesses jedoch erkennbar , dass eine Rückkehr des Kindes auszuschließen ist, dann muss im Interesse des Kindes oder Jugendlichen die Sicherung des dauerhaften Lebensortes frühzeitig im Vordergrund stehen.

Hier sehen auch die neuen Ausführungsvorschriften vor, dass die Entscheidung, ob die Vollzeitpflege befristet oder auf Dauer anzulegen ist, im Rahmen der Hilfeplanung (§ 36 5GB VIII) zu treffen ist. Orientierungsmaßstab ist dabei immer die Situation des betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Das für die Hilfeplanung verantwortliche Jugendamt ist verpflichtet, zusammen mit den Eltern ein Hilfekonzept zu entwickeln, das entweder auf eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform ausgerichtet ist. Der Erziehungshilfebedarf des Kindes sowie seine "passgenaue" Vermittlung stehen im Mittelpunkt der Hilfeplanung. Für die Diagnostik des Förderbedarfs, die Prüfung der Passfähigkeit bei der Vermittlung des Kindes in eine Pflegefamilie und die Fortschreibung des Hilfeplans werden in den Ausführungsvorschriften klare Vorgaben und Verfahren zwischen Herkunftsjugendamt und Pflegestellenjugendamt festgelegt. Intensität und Zielstellung der Begleitung der Herkunftsfamilie sind dabei vom Einzelfall abhängig. Ist eine Rückführung des Kindes z.B. nicht möglich, müssen sich die Beratungsangebote verstärkt auf das Ziel richten, die Herkunftsfamilie positiv in den Hilfeprozess einzubeziehen.

Pflegekinder müssen die Möglichkeit haben, sich mit ihrer Herkunft und ihrer Lebensgeschichte auseinander zu setzen. Das schließt mit ein, die Beziehung zur Herkunftsfamilie aufrecht erhalten zu können, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Ich bin zuversichtlich, dass ich Ihnen mit dieser ausführlichen Antwort Inhalte und Verfahren der geplanten neuen Regelung hinreichend deutlich machen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

gez. Westhoff

 

 

 

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