FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2003

 

Stellungnahme des “Restposten Pflegefamilie” zum Urteil des BFH, VIII R 71/00 vom 29.01. 2003

 

In der Kernaussage des Urteils heißt es:

Ein Pflegekind, welches nach § 33 SGB VIII in Familienvollzeitpflege untergebracht ist und für welches die Pflegepersonen ein Pflegegeld erhalten, ist nur dann als Pflegekind im Sinne des § 32 Absatz 1 Nr. 2 EstG anzuerkennen, wenn die Pflegeeltern im Einzelfall nachweisen können, dass ihre tatsächlichen Aufwendungen mindestens aber 20% über den erhaltenen Pflegegeldzahlungen und anderen Leistungen liegen.

Wenn aber kein Anspruch auf Kindergeld mehr besteht, fallen somit auch die an das Kindergeld gekoppelten Vergünstigungen wie z. B. Anspruch auf Baukindergeld, Kinderfreibeträge auf der Steuerkarte, Ortszuschläge des öffentlichen Dienstes, Ansprüche auf Kinderzulage bei der Riesterrente usw. weg.

Die Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Kindergeld ist nicht neu. Bisher wurde jedoch pauschal davon ausgegangen, dass die Eigenleistung von Pflegeeltern mindestens 20% beträgt. Jetzt sollen Pflegeeltern in die Beweispflicht genommen werden ihre Eigenleistung nachzuweisen, um Kindergeld und andere Familienvergünstigungen zu erhalten.

Der Verein Restposten Pflegefamilie e.V. wehrt sich vehement gegen dieses Urteil, welches eine zeit- und nervenaufreibende Zusatzbelastung der Pflegefamilien bedeutet und außerdem in der Praxis gar nicht zu leisten ist.

Das Pflegegeld setzt sich normalerweise durch einen Unterhaltsbetrag für das Pflegekind und einen Erziehungsbeitrag zusammen. (siehe hierzu auch § 39 SGB VIII: der Unterhalt eines Kindes umfasst auch die Kosten der Erziehung)

Während sich der tatsächliche Unterhaltsbetrag für ein Pflegekind mit großen Schwierigkeiten vielleicht nachweisen lässt, ist es bei dem Erziehungsbeitrag so gut wie unmöglich.

Für den Nachweis des Unterhaltbetrages müsste jeder Einkaufszettel auseinandergenommen werden (wie viel Prozent des eingekauften Brotes habe ich für das Pflegekind gekauft? Wie viel trinkt es aus der Getränkekiste – Pflegekinder kennen oft keine Grenzen was Essen und Trinken anbelangt...), jeder gefahrene Kilometer müsste in Rechnung gestellt werden, wie sieht es mit dem extra größeren Auto aus, das angeschafft wurde, damit alle Kinder mitfahren können und wie sieht es mit den wesentlich häufiger nötigen Renovierungen aus, denn Pflegekinder haben ein höheres Zerstörungspotential als andere Kinder, weil sie nie eine Wertschätzung fremden Eigentums erlernt haben. Dasselbe gilt für die Neuanschaffung sämtlicher Haushaltsgegenstände, die durch das Pflegekind oft einer wesentlich größeren Belastung ausgesetzt sind (Waschmaschine, Staubsauger, Dusche, Türen, Geschirr,..) Besitztümer des Pflegekindes wie Spielsachen, Anziehsachen, Mobiliar und ähnliches müssen ebenfalls im Normalfall häufiger erneuert werden als bei anderen Kindern. Wie sollen Strom, Wasser, Heizung und Miete prozentual aufgeteilt werden?

Der Nachweis des tatsächlichen Unterhaltbetrages wäre also eine sehr kniffelige und zeitaufwendige Sache, die zu dem noch über einen sehr langen Zeitraum gemacht werden müsste, um überhaupt irgendwie realistisch zu sein.

Wie sieht es nun aber mit der Berechnung des Erziehungsbeitrages aus?

Wie soll eine 24-Stundenbetreung berechnet werden. Eine Betreuung mit einem erhöhten Betreuungs- und Förderbedarf. Eine Betreuung mit erhöhter Beaufsichtigungszeit. Eine Betreuung mit erhöhter Kampfbereitschaft, die durch die sozialen Schwierigkeiten der Kinder im Kindergarten, in der Schule, in der Nachbarschaft, beim Arzt und in vielen anderen Situationen einfach nötig ist, um dem Kind eine sozial gerechte Lebenssituation zu schaffen.

Welcher Stundenlohn soll hier zu Grunde gelegt werden. Im Familienrecht wird dem Elternteil, bei dem das Kind lebt unterstellt, dass er seiner Unterhaltspflicht allein schon durch die Erziehung und Pflege des Kindes nachkommt.

Wie soll dem Rechnung getragen werden, dass ein Pflegeelternteil durch den Entwicklungsrückstand der Kinder (auf emotionaler, sozialer und motorischer Ebene) der Einstieg in das Berufsleben und damit einer renten- und einkommenssichernden Tätigkeit nur verspätet bis gar nicht möglich ist. Hierbei sollte der § 1570 aus dem BGB auch nicht außer acht gelassen werden. Der § 1570 BGB besagt nämlich, dass ein geschiedener Ehegatte von den anderen Unterhalt verlangen kann solange und soweit von ihm wegen der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Pflegekinder sind nach unserer Meinung gemeinschaftliche Kinder der Pflegefamilien und des Staates.

Wie sieht es mit einer Anerkennung der emotionalen, physischen und sozialen Mehrbelastung der Pflegeeltern in ihrem gesamten sozialen Umfeld aus, denn Pflegeeltern können nicht nach acht Stunden nach Hause gehen und im familiären Rahmen entspannen. Pflegekinder sind nicht einfach im Umgang und erleichtern das soziale Zusammenleben mit der Umwelt (wie Familie, Freunde, Nachbarn, Einkaufsläden, Schulen, Kindergärten usw.) nicht gerade. Was nicht heißt, dass Pflegeeltern ihre Kinder nicht gerne versorgen. Trotzdem sollte ihnen die Anerkennung ihrer Tätigkeit nicht durch solche Urteile wie vom BFH aberkannt werden.

Zusammenfassend: Pflegekinder sind Kinder, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben können. Um das Wohl und die Entwicklung dieser Kinder zu sichern sollen sie auf Staatswunsch soweit es möglich ist in einer FAMILIE aufwachsen und leben dürfen.

„In der Familie werden Kultur und Werte vermittelt. Familie ist die erste Instanz für Sozialisation und Erziehung, in der Persönlichkeits- und Charakterbildung gefördert wird.“ So ist jedenfalls der Wortlaut unserer Politiker.

Der 1. Senat des BVG machte in seinem Beschluss von 1957 in Absatz 74 deutlich, dass Art.6 Abs.1 im GG als eine wertentscheidende Norm zu gelten hat und damit die Grenzen der Freiheit des gesetzgeberischen Ermessens festlegt. Art. 6 Abs.1 des GG stellt die Familie unter den besonderen Schutz des Staates.

Im EstG § 32 wird festgelegt, dass nur dem Kindergeld zusteht der einen nicht unwesentlichen Teil (mindestens aber 20%) der gesamten Unterhaltskosten des Kindes trägt.

Die gesamten Unterhaltskosten beziehen sich sowohl auf die materiellen wie auch auf die immateriellen Belastungen. (s. hierzu § 39 SGB VIII)

Wir vom Verein Restposten Pflegefamilie e.V. und Träger der freien Jugendhilfe sehen die Eigenleistung der normalen Pflegefamilie als unbedingt gegeben an und fordern hiermit die Politiker und Richter auf Pflegefamilien als reine Familien und Pflegekinder als Kinder nach dem § 32 EstG anzuerkennen und mit allen Konsequenzen zu unterstützen. Es sind Familien mit besonderen Belastungen, denen auch besondere Unterstützung gewährt werden muss. Andernfalls wären Pflegefamilien Angestellte der öffentlichen Jugendhilfe, die dann aber auch mit einem angemessenen Stundenlohn und einer Renten-, Kranken-, Arbeitslosen und Pflegeversicherung zu versorgen sind.

Der Vorstand

s.a. Unterschriftenliste zum Kindergeldurteil des BFH

 

 

 

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