FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Veröffentlichungen / sozialppädagogische Fabeln

 

Weißkätzchen und der Hund


In einem kleinen Bauernhof wohnte einst ein hübsches weißes Kätzchen mit großen blauen Augen. Es hatte gute, allerdings auch strenge Eltern. Deshalb war es besonders brav, und alle Welt hatte es lieb. Immer am Sonntagmorgen trat der Vater an sein Bett, streichelte ihm zart über das Köpfchen und sprach: „Du warst die ganze Woche hindurch ein braves Kätzchen. Ich bin sehr stolz auf dich!“ So war es auch heute gewesen, und das Kätzchen spazierte glücklich durch das Dorf.

Da kam leutselig wie immer der große Schnauzer des Bürgermeisters die Dorfstraße herunter: „Ei, kleines Kätzchen, wie geht es Dir an diesem schönen Sonntag?“ „Mir geht es ausgezeichnet, aber Du riechst schon am frühen Morgen nach Bier!“ „Ach, laß es nur riechen, mein Herr hat seinen Morgenschoppen mit mir geteilt und war sehr freundlich, statt mich wie üblich zu schlagen. Sag lieber, was wir heute unternehmen wollen!“ „Woher soll ich das wissen?“ „Willst Du einmal sehen, wie die Häschen sich küssen?“ „Wo sind denn hier Häschen?“ „Hinterm Feld, überm Bach, am Waldesrand.“ „Und da küssen sie sich?“ „Und da küssen sie sich!“ „Woher weißt Du das?“ „Hab´s selbst gesehen.“ „Wenn sie Dich sehen, laufen Sie sowieso weg.“ „Ich hab dort ein gutes Versteck.“ „Zeig es mir, sonst glaub ich kein Wort.“

So gingen sie durch das Kornfeld, über den Bach zum Waldesrand. „Na, wo ist nun Dein Versteck?“ „Hier“, rief der Schnauzer und zog sie in ein dichtes Fliedergebüsch. „Und wo sind die Häschen?“ „Hier sind keine Häschen.“ „Du wolltest mir doch zeigen, wie die Häschen sich küssen!“ „Das kannst Du haben!“ rief der Schnauzer, warf das Kätzchen auf den Rücken, leckte ihm den Bauch von unten bis oben, von oben bis unten und frohlockte: „So küssen sich die Häschen, so küssen sich die Häschen!“ Das Kätzchen war erst starr vor Schreck, sprang dann empor und rannte, ohne sich noch einmal umzusehen, auf und davon. Noch lange hörte es hinter sich das johlende Gelächter des Schnauzers: „So küssen sich die Häschen, so küssen sich die Häschen!“ Dem Kätzchen war ganz schlecht, und es mußte brechen. Als es an den Bach kam, stürzte es sich ins Wasser, um den Geruch des Bieres abzuwaschen. Aber es gelang ihm nicht. Der Gestank schien sogar schlimmer zu werden. Das Kätzchen versteckte sich bis zum Abend im Kornfeld, schlich sich erst im Dunkeln nach Hause und war froh, daß es in sein Bett gelangte, ohne von seinen Eltern gesehen worden zu sein.

Es hoffte, daß es am nächsten Morgen fröhlich wie immer aufwachen würde und alles wie ein dunkler Traum hinter ihm läge. Aber der kommende Tag und die folgenden Wochen wurden die schlimmsten seines Lebens. Es war ihm so schlecht, daß es kaum essen mochte. Der widerliche Biergeruch blieb ständig in seiner Nase, wohin es sich auch wandte. Offenbar roch ihn sonst niemand, und doch fürchtete das Kätzchen, daß alle Welt ihn spüre und es längst durchschaut sei. Das Kätzchen zog sich, so oft es ging, in das Kornfeld zurück, schämte sich sehr und weinte über seine Schande. Das jammerte eine alte Kröte: „Schönes Kätzchen, was weinst Du?“ „Erstens bin ich nicht schön, sondern häßlich, und zweitens stinke ich gen Himmel!“ „Oh, so wollen wir tauschen, ich will aussehen und riechen wie Du, und Du sollst aussehen und riechen wie ich - einverstanden? Du zögerst? Findest Dich wohl doch ganz hübsch und wohlriechend? Stört Dich das so sehr?“

Das Kätzchen war verwirrt, erzählte der Kröte die ganze Geschichte und schluchzte dabei so heftig, wie es noch nie geschluchzt hatte. Danach war ihm wohler. „Und was nun?“ fragte die Kröte. „Jetzt möchte ich den alten Köter nach Herzenslust verprügeln!“ „Das ist eine gute Idee.“ „Aber ich bin doch viel zu schwach!“ „Hast Du keine Freundinnen?“ „Doch, aber die dürfen doch nie und nimmer etwas davon erfahren!“ „Genauso denken vielleicht auch jene“, gab die Kröte zu bedenken. „Wieso?“ „Na, ich habe selbst gesehen, daß der alte Schnauzer mit einer von Deinen Freundinnen dasselbe Spiel getrieben hat, mit der kleinen grauen, die in letzter Zeit so oft krank ist.“ „Aber die hat doch starke Brüder!“ „Die wissen so wenig davon wie Deine Eltern.“ „Na, das soll anders werden und zwar sofort!“ rief das Kätzchen und fegte wie ein Sturmwind in das Dorf.

Dort fand es das graue Kätzchen mit Magenschmerzen im Heu, erzählte ihm, was es mit dem alten Schnauzer erlebt und was es von der Kröte gehört hatte. Das graue Kätzchen war froh, daß die Kröte das furchtbare Geheimnis verraten hatte und umarmte seine Freundin lange und innig. „Zum umarmen ist später Zeit,“ rief diese, „hol nun Deine Brüder, daß wir dem Schnauzer einheizen können!“ „Meine Brüder? - Was verstehen die schon davon?“ „Haben Sie Dich lieb?“ „Ich glaube schon.“ „Na also, dann hol sie, es wird ihnen eine Lust sein, den Schnauzer zu scheuchen!“ So war es. Als die Brüder die beiden Geschichten gehört hatten, stürzten sie sich so zornig auf den großen Schnauzer, daß dieser laut jaulend Reißaus nahm und sich in dem Dorf nie wieder blicken ließ. Als die Kröte davon hörte, sagte sie nur: „Die Freiheit wird ihm gut tun.“ Die vier Kätzchen verstanden nicht ganz, was sie damit meinte, stimmten ihr aber gerne zu. Frohgemut sprangen sie zum Bach, setzten hinüber und tummelten sich bis zum nächsten Morgen am Waldesrand.

aus „Fabeln statt Pillen“ von Kurt Eberhard und Istrid Hohmeyer

 

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