FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2007

 

 Bundeskabinett: Besserer Schutz für gefährdete Kinder


Familiengerichte sollen künftig im Interesse vernachlässigter oder misshandelter Kinder früher eingreifen können. Das Bundeskabinett hat am 11. Juli auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen.
"Vernachlässigte, misshandelte und verhaltensauffällige Kinder brauchen die Hilfe des Staates. Mit der vorgeschlagenen Neuregelung wollen wir die frühzeitige Einschaltung der Familiengerichte in den Hilfeprozess fördern und damit den Schutz gefährdeter Kinder verbessern. Nicht zuletzt einige erschütternde Fälle aus jüngerer Zeit zeigen, dass wir frühzeitigere Interventionsmöglichkeiten der Familiengerichte brauchen", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beruht auf den Empfehlungen einer Experten-Arbeitsgruppe, die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im März 2006 eingesetzt hatte. Geprüft wurden Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung, ebenso wie Maßnahmen für Kinder und Jugendliche, die bereits in jungen Jahren wiederholt straffällig geworden sind. Der Gesetzentwurf setzt die Empfehlungen der Arbeitsgruppe an den Gesetzgeber konsequent um.

"Bislang werden die Familiengerichte in der Praxis leider häufig zu spät angerufen, wenn also ´das Kind bereits in den Brunnen gefallen´ ist und das Gericht nur noch mit der Entziehung der elterlichen Sorge reagieren kann. Unser Ziel ist es, gefährdete Kinder so früh wie möglich zu schützen und Schlimmeres zu verhindern. Die Neuregelung erlaubt es den Familiengerichten frühzeitiger und stärker auf die Eltern einzuwirken, damit diese öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen, die zur Stärkung ihrer Elternkompetenz notwendig sind. Genauso wichtig für einen effektiven Kindesschutz ist es aber, dass Familiengerichte und Jugendämter konstruktiv zusammenarbeiten. Ungeachtet der verbesserten rechtlichen Möglichkeiten müssen wir flankierend zu einer engeren Zusammenarbeit der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kommen. Um den Informationsfluss zu verbessern, sollten sie örtliche Arbeitskreise bilden, in denen sich beispielsweise Familienrichter, Jugendamtsmitarbeiter, Polizisten, Jugendrichter und -staatsanwälte regelmäßig an einen Tisch setzen. Es gibt dafür mancherorts Vorbilder, die Nachahmung verdienen. Wir brauchen diese gemeinsame Kraftanstrengung im Interesse unserer Kinder", machte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries deutlich.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht folgende Änderungen vor:
(1) Abbau von "Tatbestandshürden" für die Anrufung der Familiengerichte: Nach dem geltenden Recht setzen Kindesschutzmaßnahmen des Familiengerichts voraus, dass die Eltern durch ein Fehlverhalten - nämlich durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder durch unverschuldetes Versagen - das Wohl des Kindes gefährden und nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (§ 1666 Abs. 1 BGB). Der Gesetzentwurf sieht vor, die Voraussetzung des "elterlichen Erziehungsversagens" zu streichen, weil es oft schwer zu belegen ist. Entscheidende Tatbestandsvoraussetzungen sind und bleiben die Gefährdung des Kindeswohls sowie die Unwilligkeit oder Unfähigkeit der Eltern, die Gefahr abzuwenden. Die Änderung soll außerdem der Gefahr entgegenwirken, dass Eltern auf Grund des Vorwurfs des "Erziehungsversagens" nicht mehr kooperieren. Beispiel: Fällt ein Kind durch erhebliche Verhaltensprobleme auf, deren Ursachen nicht eindeutig zu klären sind, und haben die Eltern keinen erzieherischen Einfluss mehr auf ihr Kind, so kann das Merkmal des "elterlichen Erziehungsversagens" und der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem Erziehungsversagen und der Kindeswohlgefährdung schwer festzustellen und darzulegen sein. Hier schafft die vorgeschlagene gesetzliche Änderung eine sinnvolle Erleichterung.

(2) Konkretisierung der möglichen Rechtsfolgen: Das Familiengericht hat die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind (§ 1666 Abs. 1 BGB). Diese offene Formulierung bietet den Familiengerichten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Bislang wird die Vielfalt der möglichen Schutzmaßnahmen von den Gerichten nicht in vollem Umfang genutzt. Der Gesetzentwurf sieht deshalb eine Konkretisierung durch beispielhafte Aufzählung vor. Den Familiengerichten und Jugendämtern soll dadurch die ganze Bandbreite möglicher Maßnahmen - auch unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung - verdeutlicht werden. Die Gerichte können die Eltern verpflichten, öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, wie etwa Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (z.B. Erziehungsberatung, soziale Trainingskurse) und der Gesundheitsfürsorge (z.B. Vorsorgeuntersuchungen). Es kann die Eltern aber auch ganz konkret anweisen, für den regelmäßigen Schulbesuch des Kindes zu sorgen. Beispiel: Die Eltern vernachlässigen ihr 4-jähriges Kind. Es weist gegenüber gleichaltrigen Kindern deutliche Entwicklungsstörungen auf, ist unzureichend ernährt und hat keine sozialen Kontakte. In einem solchen Fall kann das Familiengericht die Eltern anweisen, Erziehungsberatung und einen Kindergartenplatz für ihr Kind anzunehmen. Eine solche gerichtliche Weisung ist mit Zwangsgeld durchsetzbar. Befolgen die Eltern Weisungen nicht, wird das Gericht aber in der Regel auch schärfere Maßnahmen bis hin zu einer Fremdunterbringung des Kindes prüfen.

(3) Erörterung der Kindeswohlgefährdung ("Erziehungsgespräch"): Mit dem Entwurf soll eine "Erörterung der Kindeswohlgefährdung" eingeführt werden. Dem Familiengericht wird damit bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens ermöglicht, schon im Vorfeld und unabhängig von Maßnahmen nach § 1666 BGB stärker auf die Eltern einzuwirken, öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit dem Jugendamt zu kooperieren. Wesentliches Ziel der Erörterung ist es, die Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Es ist Aufgabe der Gerichte, in diesem Gespräch - regelmäßig unter Beteiligung des Jugendamtes - den Eltern den Ernst der Lage vor Augen zu führen, darauf hinzuwirken, dass sie notwendige Leistungen der Jugendhilfe annehmen und auf mögliche Konsequenzen der Nichtannahme (ggf. Entzug des Sorgerechts) hinzuweisen. Diese Möglichkeit besteht schon nach geltendem Recht, wird aber in der Praxis kaum genutzt.

(4) Überprüfung nach Absehen von gerichtlichen Maßnahmen: Bislang ist das Familiengericht, das in einem Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung keine Maßnahme anordnet, nicht verpflichtet, diese Entscheidung später noch einmal zu überprüfen. Nach der vorgesehenen gesetzlichen Änderung soll das Gericht in angemessenem Zeitabstand überprüfen, ob seine Entscheidung unverändert richtig ist. Damit soll gewährleistet werden, dass das Gericht erneut tätig wird, wenn sich die Kindeswohlsituation nicht den Erwartungen des Gerichts entsprechend verbessert oder sogar verschlechtert. Beispiel: Machen die Eltern vor Gericht die Zusage, mit dem Jugendamt zu kooperieren und hält das Gericht diese Zusage für glaubhaft, kann das Gericht nach geltendem Recht das Verfahren beenden. Verweigern die Eltern jedoch entgegen ihrer Zusage die Kooperation mit dem Jugendamt, erfährt dies das Familiengericht nicht ohne weiteres. Durch den Änderungsvorschlag soll daher im Interesse des Kindes eine nochmalige Befassung des Gerichts mit dem Fall gewährleistet werden.

(5) Schnellere Gerichtsverfahren: Der Entwurf sieht ein umfassendes Vorrang- und Beschleunigungsgebot vor für Verfahren Gefährdung des Kindeswohls und für Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen. Binnen eines Monats muss das Gericht einen ersten Erörterungstermin ansetzen. In Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls hat das Familiengericht unverzüglich nach Verfahrenseinleitung Eilmaßnahmen zu prüfen.

(6) Mehr Rechtssicherheit in Fällen von "geschlossener" Unterbringung: Im Einzelfall kann es als letztes pädagogisches Mittel erforderlich werden, einen Minderjährigen in einem Heim der Kinder- und Jugendhilfe oder in einem psychiatrischen Krankenhaus freiheitsentziehend unterzubringen. Die Entscheidung hierzu können die Eltern - trotz ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts - nicht alleine treffen. Vielmehr bedarf es hierfür nach § 1631b BGB einer gerichtlichen Genehmigung. Über die Anwendung des § 1631b BGB bestehen in der Praxis Unsicherheiten, insbesondere weil er die Voraussetzungen für die gerichtliche Genehmigung nicht ausdrücklich regelt. Der Entwurf stellt klar, dass die freiheitsentziehende Unterbringung zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich sein muss und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu beachten ist. Eine geschlossene Unterbringung ist danach nur erlaubt, wenn der Gefahr für das Kind nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen begegnet werden kann ("ultima ratio"). Beispiel: Ein 13-jähriger Junge hat bereits eine große Zahl von Straftaten begangen. Die Eltern sind mit der Erziehung des nicht einsichtigen und sehr aggressiven Jungen überfordert. Aus einem offenen Heim der Jugendhilfe ist der Junge kurze Zeit nach seiner Ankunft weggelaufen. Hier kann eine geschlossene Unterbringung sinnvoll sein, um an den Jungen heranzukommen und mit ihm pädagogisch arbeiten zu können. Zu berücksichtigen ist jedoch stets, dass es heute vielfältige Angebote für straffällige und verhaltensauffällige Kinder gibt, wodurch die Übergänge zwischen geschlossener und offener Unterbringung fließend geworden sind. So kann es ausreichend sein, das Kind in einem Heim unterzubringen, in dem Entweichungen durch eine engmaschige Betreuung oder örtliche Abgeschiedenheit vorgebeugt wird.

Dem Gesetzentwurf liegt der Bericht der Expertenarbeitsgruppe zugrunde. In der Arbeitsgruppe waren Experten aus den Familiengerichten, der Kinder- und Jugendhilfe und Vertreter betroffener Verbände versammelt. Sie haben sich in mehreren Sitzungen mit den praktischen Schwierigkeiten im familiengerichtlichen Verfahren bei Kindeswohlgefährdung und im sozialpädagogischen Hilfeprozess auseinandergesetzt und Mängel der derzeitigen Rechtslage untersucht. Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe sowie der Regierungsentwurf sind unter
www.bmj.bund.de abrufbar.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 11.7.2007

 

 

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