FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2009

 

 Der neugierige und leidenschaftliche Erkenntnistheoretiker

Zum Tode von Prof. Dr. Kurt Eberhard

von Heiko Kleve und Regina Rätz-Heinisch

 

Kurt Eberhard ist gestorben!

Als wir diese Nachricht vor ein paar Wochen erhielten, hat uns dies sehr bestürzt. Wir konnten es zunächst kaum glauben. Wie zumeist beim Tod von Menschen, die für einen von Bedeutung sind, hält bei einer solchen Botschaft die Welt für einen Moment an. Und sie geht danach nicht mehr so weiter wie bisher.

Obwohl wir keinen regelmäßigen Kontakt zu Kurt Eberhard hatten, prägten uns die Begegnungen mit diesem scharfsinnigen, sehr leidenschaftlichen und sicherlich nicht unumstrittenen Kollegen in intellektueller und auch menschlicher Hinsicht. Kurt wird uns fehlen!

Was bei uns bleibt, sind die erwähnten Prägungen, die er bei uns, der jüngeren Generation, hinterlassen hat und von denen wir ein wenig berichten wollen.

Eine erste Prägung war für uns Kurts Vortragsstil: Wir haben den Mann mit dem grauen Haar und dem Vollbart, der mit neugierigen Augen sein Gegenüber musterte und dabei äußerst einprägsam in nicht zu überhörenden mecklenburgischen Akzent leidenschaftlich und voller lebendiger Energie über sozialarbeiterische, psychologische und wissenschaftstheoretische Fragen sprach, sehr gut in Erinnerung. In der Hochschulöffentlichkeit trat er in den Jahren vor seiner Pensionierung in dieser Weise leider eher selten auf. An eine seiner letzten öffentlichen Hochschulveranstaltungen können wir uns jedoch noch sehr genau erinnern. Im Rahmen der Vorlesungsreihe Soziale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt „Differenz und Soziale Arbeit“ hielt Kurt einen Vortrag über sein Verständnis von Praxisforschung (Vgl. Kurt Eberhard (2003): Differenzen in der Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit, in: Heiko Kleve, Gerd Koch und Matthias Müller (Hrsg.): Differenz und Soziale Arbeit. Sensibilität im Umgang mit dem Unterschiedlichen. Milow: Schibri, S. 88-99).

Die zweite Prägung, die Kurt bei uns hinterlässt, ist sein Verständnis von Forschung, ja von wissenschaftlicher Praxis schlechthin. Im erwähnten Vortrag verortete er diese nicht in Distanz zum Handeln, sondern sah sie immer schon verquickt mit so alltäglichen Prozessen wie Teamberatung und Supervision. Gespräche waren für ihn forschende Aktivitäten, ging es doch darum, in Wahrhaftigkeit einen „herrschaftsfreien Diskurs“ (Jürgen Habermas) zu initiieren, in dem vielleicht sogar momenthaft so etwas aufscheinen kann wie Wahrheit. Zumindest glaubte Kurt an die Diskursethik und strukturierte seine Forschungen radikal dialogisch.

Beispielsweise wechselte er in seinem letzten Vortrag an der ASFH nach ca. der halben Redezeit die Methodik: Die Zuhörerinnen und Zuhörer fingen an zu staunen, als er plötzlich Fragen an sie richtete und den Antworten aufmerksam zuhörte. Er war interessiert an dem, was junge Leute beobachteten, dachten und was sie bewegte. Dies erfuhren auch wir, als wir Anfang der 1990er Jahre während unseres eigenen Studiums an der FHSS bei Kurt Gesprächsführung oder Erkenntnistheorie belegten.

Was uns dabei immer wieder beeindruckte war die Kombination aus Leidenschaft und Dialogik, die Kurt mit seinen Studierenden zu entwickeln pflegte. Wissenschaft wurde bei ihm zum Abenteuer der Erkenntnis – u.a. der Erkenntnis von sich und den anderen.

Die dritte Prägung bezieht sich auf die Erkenntnistheorie, die Kurt vertrat, und die uns so nachhaltig beeindruckt hat, dass wir sie für unsere eigene Lehre als Strukturprinzip übernommen haben. Kurt vertrat eine abduktionslogische Position, die er vor allem in seinem Buch Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (Vgl. Kurt Eberhard (1987/1999), Stuttgart: Kohlhammer.) niederschrieb. Als Abduktionstheoretiker zeichnete er sich dadurch aus, dass er für die Erklärung sozialer Probleme nicht nur eine vermeintlich richtige Lösung zuließ, sondern mehrere Hypothesen zur Begründung eines Phänomens mit einer Gruppe entwickelte.

Besonders prägend ist der von Kurt beschriebene dreistufige Erkenntnisprozess, der nicht nur jeden Wissenschaftler, sondern auch den neugierigen Praktiker treibt. Demnach fragen wir uns bei Problemen zunächst die phänomenale („Was ist los?“), sodann die kausale („Warum ist das so?“) und schließlich die aktionale („Was ist zu tun?“) Frage. In Veranstaltungen zur Sozialarbeitswissenschaft eignen sich diese drei scheinbar so simplen Fragen ausgesprochen gut dazu, Alltags- wie wissenschaftliche Theorien zu rekonstruieren.

Schließlich möchten wir von einer vierten Prägung berichten: Kurt ist ein Modell für uns, um als Hochschullehrer zugleich der Praxis treu zu bleiben. Denn Kurt vertraute dem Wissen, welches in sozialen Kontexten entstand. Dies bedeutete für ihn auch, sich als Wissender zunächst zurückzunehmen. Diesbezüglich beeindruckte er etwa dadurch, dass es ihm neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer gelang, die Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (siehe http://www.agsp.de) aufzubauen und sich insbesondere der Begleitung von Pflegefamilien zu widmen.

Diese Tätigkeit empfand er als Berufung, weniger als Beruf. Ihm gelang es, eine grundlegende Verzahnung zwischen Praxis, Wissenschaft und Supervision herzustellen. Auch nach seiner aktiven Hochschullehrerzeit engagierte er sich als Praktiker in diesem Bereich.

Wir werden Kurt Eberhard nachhaltig vermissen. Aber die Prägungen, die er bei uns hinterlassen hat, tragen wir weiter und hinein in Vorlesungen und Seminare, so dass noch viele Studierende – zumindest vermittelt über unsere Begeisterung und Verehrung dieses besonderen Hochschullehrers – von ihm beeindruckt werden können.

 

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Kurt Eberhard (Geb. 1938)

Wie erschießt man Walter Ulbricht?

von Falko Hennig
 

Der hier veröffentlichte Nachruf von Falko Henning (erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 30.01.2009) wurde entfernt, weil der Tagesspiegel Nutzungsgebühren verlangt.

Bei dem Artikel von Falko Henning handelte es sich um einen Nachruf, kurz nach dem Tod von Prof. Dr. Kurt Eberhard. Falko Henning schreibt über die Jugend Eberhards in der Nachkriegszeit, die gemeinsamen Mordpläne an Walter Ulbricht des Komikers und Kabarettisten Dieter Hallervorden mit Kurt Eberhard sowie über sein Wirken für Kinder und Patienten. Dass wir gezwungen wurden, diesen Artikel zu löschen, ist nicht nur geschmack-, sondern auch pietätlos.

s.a. Offener Brief
s.a.
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