|
War man bisher als betroffene Person der Angst- und Kommunikationsstörung Mutismus bei der Suche nach Beratungs- und Therapiemöglichkeiten auf umfangreiche und streng wissenschaftlich verfasste Monographien oder schwer zugängliche Beiträge in Fachzeitschriften angewiesen, so ergeben sich mit dem nun vorliegenden Ratgeber erhebliche Erleichterungen in der Aneignung von Grundlageninformationen sowohl für die Schweigenden selbst. als auch für die behandelnden Fachdisziplinen. Den beiden Autoren Boris Hartmann (Therapeut, Publizist und Dozent innerhalb des Spezialgebietes Mutismus) und Michael Lange (Betroffener und Gründer der deutschen Mutismus-Webseite) ist es gelungen, einen speziell für Angehörige und Betroffene. aber auch für therapeutische und pädagogische Berufe konzipierten Ratgeber vorzulegen, der eine empfindliche Lücke in der praxisorientierten Vermittlung des bisher wenig beachteten Schweigens bei intakter Sprechfähigkeit schließt.
Thematisiert werden zuerst die typischen sichtbaren Anzeichen und die unterschiedlichen Lebensphasen. in denen der Mutismus beginnen kann. Es folgt eine Begriffsbestimmung mit der Darstellung der diagnostischen Schritte und eine differenzialdiagnostische Abgrenzung Mutismus vs. Autismus. Besonders hilfreich für therapeutisch und pädagogisch Praktizierende sind hier die Hinweise auf aktuelle Testverfahren zur Erfassung von sozialen Ängsten, generellen Angstempfindungen, Depressionen, sowie von Stresserleben und Stressbewältigung. Ein spezieller Evaluationsbogen für das sozialinteraktive Kommunikationsverhalten bei Mutismus wird ebenfalls angeboten.
Im Anschluss an die Erscheinungsformen des Schweigens, sowie weiterer Verhaltenskomponenten, wie z.B. die aktiv oder passiv geführte Dominanz- und Kontrollsucht, die von den Autoren als Tendenz zu narzisstisch-perfektionistischen Wesenzügen interpretiert wird, erfolgt die Darstellung von Erklärungsmodellen. Sie unterteilen sich in psychologische und organische Verursachungsfaktoren. Den Untersuchungsergebnissen der letzten drei Jahrzehnte, sowie dem in anderen Arbeiten von Hartmann postulierten Diathese-Stress-Modell entsprechend, haben sich die Autoren in besonderem Maße den genetischen Anlagen gewidmet.
In den weiteren Kapiteln 'Mutismus im Kindergarten' und 'Mutismus in der Schule' werden praxisnah Beratungshilfen für den Kindergarten und die Schule vorgegeben, die einen adäquaten Umgang mit mutistischen Kindern und Jugendlichen ermöglichen und helfen, sie vor Fehlinterpretationen zu schützen. Besonders zu erwähnen sind darüber hinaus die Diskussion 'Regelschule oder Sonderschule' sowie die anschaulichen Tips in 'Wie kann ich als Lehrerin/Lehrer helfen?'.
Mit den abschließenden Kapiteln über die therapeutischen Möglichkeiten der Fachdisziplinen Psychiatrie, Psychologie und Sprachtherapie verstärkt der Ratgeber den Eindruck eines unverzichtbaren Leitfadens für alle, die sich aus eigener Betroffenheit heraus oder aufgrund eines therapeutischen bzw. pädagogischen Interesses mit der Thematik beschäftigen.
Fazit: Das in der Ratgeberreihe erschienene Buch über Mutismus im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter mit seinen zahlreichen Abbildungen und optisch hervorgehobenen Infoblocks überrascht mit einem Informationsspektrum, das auf 64 Seiten nicht zu erwarten gewesen wäre. Nicht zuletzt durch die eingefügten Leserbriefe erhält die Darstellung eine menschliche, den Leser fesselnde Note. Interessierte erhalten weitere Informationen auf den Webseiten de Autoren www.DrHartmann.mynetcologne.de und www.mutismus.de oder über das mitgegebene Verzeichnis der (Internet-)Adressen.
Kurt Eberhard (Jan. 2005 / Erstveröff. Dez. 2004 in »Die Sprachheilarbeit« Jg. 49, Heft 6
s. http://www.dgs-ev.de/index3.htm und http://www.dgs-ev.de/sprachheilarbeit/index.html)
|
