FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2001

 

Charly Kowalczyk

Immerhin hatte ich Eltern – Biographien erwachsener Adoptiv- und Pflegekinder

Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein 1998, (175 Seiten, 36,- DM)

 


Der Übergang von persönlicher zu wissenschaftlicher Erfahrung ist die Fallgeschichte, der Übergang vom Einzelfall zur repräsentativen Stichprobe die erweiterte Kasuistik. In diesem Zwischenfeld liegen die von dem Journalisten und Pflegevater Charly Kowalczyk erhobenen Lebensgeschichten.

„Der Veröffentlichung der 16 Biographien sind oft lange, mitunter rührende Interviews vorausgegangen. Meine Aufgabe als Autor war, zuzuhören und Fragen zu stellen. Die Interviews habe ich zu Geschichten zusammenmontiert, komponiert. Die Sprache der Erzählenden bleibt gewahrt. Ich hoffe, daß dieses Buch andere erwachsene- und auch nicht-erwachsene Adoptiv- und Pflegekinder ermutigt, zur eigenen Geschichte zu stehen und sie zu erzählen.“ (S. 175)

Das Alter der Interviewpartner reicht vom 18. bis zum 68. Lebensjahr.

Interessant sind Erfahrungen, die Adoptiv- und Pflegekinder der verschiedenen Generationen mit den Jugendämtern gemacht haben. Carmen wollte nach ihrer Volljährigkeit erfahren, wo ihr Bruder lebt, der mit ihr aus Chile nach Deutschland adoptiert worden war. Die Sozialarbeiterin der Adoptionsvermittlungsstelle wollte ihr einreden, daß es keine Akte über ihren Bruder gäbe. Carmen stellte nach langem Kampf fest, daß sie nur ’Abweisungsversuche’ von der Sozialarbeiterin erfahren hat und keinerlei Hilfe. Sie meint aber auch, daß viele Jugendämter inzwischen volljährigen Adoptierten Akteneinsicht gewähren würden, aber es ist keineswegs selbstverständlich. Carmen vermutet, daß die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Jugendämtern sich ’nicht genug damit auseinandergesetzt haben, was die ungewisse Identität für die Adoptivkinder bedeutet.’ Waltraut schaltete das Jugendamt ein, weil sie nicht zur Schule gehen durfte. Sie erzählte, daß sie das ’beim Jugendamt nicht glauben wollten, da die Familie einen guten Ruf hatte’. Sozialarbeiterinnen des Jugendamtes sind daraufhin mit ihr zu ihrer Familie gefahren. Waltraut sagt, daß die Sozialarbeiterinnen bemerkt haben, ’daß es stimmt, was ich sage. Trotzdem sind sie weggefahren und der Fall war erledigt.’ Susanne teilte mit, daß das Jugendamt ihren Pflegeeltern abgeraten hätte, sie zu adoptieren. Dies nur, weil Susannes leibliche Mutter in der Psychiatrischen Klinik war.“ (S.174)

„Den Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen der Jugendämter kann nur empfohlen werden, Adoptiv- und Pflegeeltern darauf vorzubereiten, daß sie ihren Kindern die Realität mitteilen können. Viele Konflikte können dadurch vermieden werden. Das Wissen um ihre Herkunft ist im Interesse des Kindeswohls, aber auch sicher zum Vorteil der Adoptiv- und Pflegeeltern, weil sie sich nicht ständig in irgendwelchen Geschichten verstricken müssen. (S.173)

Dann folgt eine Warnung vor abwertenden Äußerungen über die leiblichen Eltern, denn jene gefährden die ohnehin fragile Identität der heranwachsenden Kinder.

„Ein düsteres Kapitel des Buches ist sicher, wie abgebende Eltern von einigen Pflege- und Adoptiveltern dargestellt werden. Susanne meint, ’im nachhinein fällt mir auf, daß meine Mutter oft negativ über meine leibliche Mutter geredet hat. Sie hat sie als eine irre Frau mit vielen unehelichen Kindern dargestellt, die nie selber gearbeitet hat. In einem wütenden Moment hat sie sie auch einmal als Hure bezeichnet.’ Waltraut erzählt, daß sie mit den Wor- ten groß geworden ist: ’Du wirst genauso eine Hure wie Deine Mutter’. Häufig werden abgebende Mütter zu Huren gemacht, unabhängig davon, ob sie diesen Beruf tatsächlich ausübten. Reinhold mußte sich von seiner Adoptivmutter anhören, weil er eine Zeitlang Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei war, daß es ’kein Wunder ist, daß Du zu den Kommunisten hinläufst. Du bist ja das wahre Produkt einer kommunistischen Vergewaltigung’. Richard schildert, daß sein leiblicher Vater acht Kinder hatte und nicht mehr arbeiten gegangen ist. Es ist möglich, daß er als Seemann keine Arbeit mehr fand. ’Meine Eltern wußten nur, daß er Sozialhilfe bekam. Sie sagten, daß er ein fauler Hund wäre. Bevor sie was erzählen, was sie selber nicht wissen, sollten sie es lieber lassen.’ Adoptiv- und Pflegekinder haben einfach den Wunsch, daß ihnen ihre leiblichen Eltern nicht madig gemacht werden. Sie erhoffen sich einen fairen Umgang der Adoptiv- und Pflegeeltern, nicht zuletzt auch, damit ihre eigene Identität nicht miesgemacht wird.“ (S. 173)

Die sehr bewegenden Lebens- und Leidensgeschichten dienen nicht nur einschlägig interessierten Lesern, sondern offenbar auch den interviewten Betroffenen selbst. Man spürt an vielen Stellen, daß sie die Gelegenheit zur Selbstreflexion gerne ergriffen haben und daß bei einigen in dieser Hinsicht ein erheblicher Nachholbedarf vorliegt. Und wir von der AGSP fühlen uns zur Fortsetzung unserer mäeutischen Biographiearbeit eindringlich ermutigt.

Kurt Eberhard (Sept. 01)

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