FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2004

 

Helmut Remschmidt (Hg)

Praxis der Psychotherapie
mit Kindern und Jugendlichen

Störungsspezifische Behandlungsformen
und Qualitätssicherung

Deutscher Ärzte-Verlag Köln, 2004

(2. überarb. u. erg. Aufl., 260 Seiten, 40 Euro)

 


Die soeben erschienene zweite Auflage wurde wesentlich erweitert und aktualisiert:
"Verständlich erläutert das vorliegende Werk Theorie und Praxis der Psychotherapie der häufigsten psychischen Störungsbilder bei Kindern und Jugendlichen. Neu in der 2. Auflage sind die Themen Depression, Hyperaktivität, posttraumatische Belastungsstörungen sowie gestörtes Sozialverhalten. Zudem wurde der Psychotherapie bei phobischen Störungen und bei Zwangstörungen mehr Raum gegeben. Der Herausgeber hält an dem bewährten Konzept der Vorauflage fest: Im ersten Teil analysieren die Autoren die Qualitätssicherung der Psychotherapie für Heranwachsende unter Berücksichtigung der jeweiligen Entwicklungsphase. Der zweite, ausführliche Teil strukturiert Symptomatik, Epidemiologie und Ätiopathogenese sowie die Diagnostik beim psychotherapeutischen Vorgehen mit Kindern und Jugendlichen." (Klappentext)

Außer dem Herausgeber, Prof. Dr. H. Remschmidt, Psychologe und Facharzt für Kinder und Jugendpsychiatrie, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg, wirkten 19 Autoren mit, die in Wissenschaft und Praxis als einschlägige Experten ausgewiesen sind:

Prof. Dr. med. M.C. Angermeyer
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig

Dr. med. Matthias E. von Aster
Bezirkskrankenhaus Landshut

PD Dr. med. Dipl.-Päd. Michael G. von Aster
Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst des Kantons Zürich

Dr. phil. Sigrid von Aster
Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik

Dr. med. Christian Fleischhaker
Abt. Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jug.alter der Universität Freiburg

Dr. med. Ulrich Hagenah
Klinik für Kinder- und Jug.psychiatrie und Psychotherapie der RWTH Aachen

Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann
Klinik für Kinder- und Jug.psychiatrie und Psychotherapie der RWTH Aachen

Prof. Dr. med. Anita Holzinger
Universitätsklinik für Psychiatrie Wien

PD Dr. med. Matthias Martin
Klinik f. Kinder- und Jug.psychiatrie und -psychotherapie Philipps-Universität Marburg

Dr. med. Herbert Matschinger
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig

Prof. Dr. phil. Fritz Mattejat, Dipl.-Psych.
Klinik f. Kinder- und Jug.psychiatrie und -psychotherapie Philipps-Universität Marburg

Dr. phil. Gerhard Niebergall, Dipl.-Psych.
Klinik f. Kinder- und Jug.psychiatrie und -psychotherapie Philipps-Universität Marburg

Dr. rer. nat. Kurt Quaschner, Dipl.-Psych.
Klinik f. Kinder- und Jug.psychiatrie und -psychotherapie Philipps-Universität Marburg

Dr. med. Mareike Schüler-Springorurn
Zentrum für soziale Psychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina

HD Dr. med. Gerd Schulte-Körne
Klinik f. Kinder- und Jug.psychiatrie und -psychotherapie Philipps-Universität Marburg

Prof. Dr. med. Eberhard Schulz
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Freiburg

Dr. rer. nat. Reinhard Walter, Dipl.-Psych.
Klinik und Poliklinik f. Kinder- und Jug.psychiatrie Philipps-Universität Marburg

Prof. Dr. med. Andreas Warnke
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jug.psychiatrie der Universität Würzburg

Dr. med. Peter M. Wehmeier
Lilly Deutschland GmbH, Bad Hornburg

Die Hauptüberschriften des Inhaltsverzeichnisses geben einen Überblick über das Programm:
I.   Qualitätssicherung
1.   Einstellung der Bevölkerung zur Psychotherapie
2.   Bedeutung der Entwicklungspsychopathologie für die Psychotherapie
3.   Qualitätssicherung in der Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
4.   Qualitätssicherung der Therapie in einer kinder- und jug.psychiatrischen Tagesklinik
5.   Zukünftige Entwicklung der Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter
II.  Störungsspezifische Behandlungsformen
6.   Hyperkinetische Störungen
7.   Depressive Störungen 
8.   Sozialverhaltensstörungen
9.   Psychotherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa
10. Psychotherapie bei Konversionsstörungen
11. Psychotherapie bei Angststörungen
12. Psychotherapie bei Panikstörungen
13. Zwangsstörungen
14. Psychotherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen
15. Psychotherapie der Schizophrenie im Jugendalter
16. Psychotherapie bei selbstverletzendem Verhalten
17. Elemente der Elternarbeit in der Kinderpsychotherapie

Als exemplarischen Einblick wählen wir drei Störungsbilder aus.

1. Hyperkinetische Störungen

"Der besondere Stellenwert, der den hyperkinetischen Störungen im Bereich der psychischen Auffälligkeiten des Kindes- und Jugendalters zukommt, ergibt sich zunächst daraus, dass es sich um eine der häufigsten Störungsformen handelt. ....
     Ein weiterer Beleg für den besonderen Stellenwert der hyperkinetischen Störungen sind die z. T. ausgesprochen kontrovers geführten Diskussionen in Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit. Es sind zwar vor allem Fragen der medikamentösen Behandlung, die im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzungen stehen, aber auch andere Aspekte wie Erscheinungsformen und Symptomatik, (mögliche) Ursachen, ja die Existenz einer eigenständigen diagnostischen Kategorie werden heftig diskutiert. ....
     Terminologisch findet diese Entwicklung ihren Ausdruck in der zunehmenden Ver- breitung des Begriffes 'Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom' (ADS), das von jedermann für nahezu jede Form von 'irgendwie' gearteter Aufmerksamkeits-'Störung' verwendet wird, ohne dass auch nur ansatzweise eine fachgerechte diagnostische Abklärung stattgefunden hat. Eine Konsequenz dieser Ausweitung und Aufweichung des Begriffes besteht darin, dass sehr viele und sehr unterschiedliche Verhaltensweisen darunter fallen (können) und eine sachliche Verständigung darüber, welche die Probleme eines Kindes sind, nur noch schwer möglich ist.
Zu dieser Entwicklung haben sicher auch die Probleme mit beigetragen, die bei der sachgerechten Diagnostik des Störungsbildes auftreten. Vielgestaltigkeit und Wechselhaftigkeit der Symptome belegen eindrucksvoll, wie schwierig es ist, das Syndrom zu fassen und zu definieren." (S. 69/70)

Zur Ätiologie:
"Für die Entstehung der Störung wird eine multifaktorielle Genese angenommen. Ganz allgemein scheint es sich um eine Interaktion von biologischen und psychosozialen Faktoren zu handeln, wobei in den letzten Jahren den biologischen Bedingungen größere Bedeutung beigemessen wird. Psychosoziale Faktoren dürften vor allem eine Rolle für den Verlauf, den Ausprägungsgrad und die Stabilität spielen. Die wesentliche Ursache scheint in einer genetischen Disposition zu liegen, die eine Störung des Neurotransmitter-Stoffwechsels, vor allem des Dopamin-Stoffwechsels, hervorruft. Neuropsychologisch werden dadurch Veränderungen in der Selbstregulation verursacht, so dass insbesondere die exekutiven Funktionen beeinträchtigt werden. Psychosoziale Faktoren wie etwa negative Interaktionen des Kindes mit seinen Bezugspersonen, ungünstige Bedingungen in Familie, Schule und sozialem Umfeld verschärfen die Symptomatik und begünstigen einen chronischen Verlauf." (S. 73/74)

Zur Wirksamkeit der Therapie:
"Die Betonung eines multimodalen Behandlungsansatzes verweist bereits darauf, dass eine einzige Therapiemethode für die Behandlung hyperkinetischer Störungen nicht in Frage kommt. Insbesondere wird auch in den Leitlinien der Fachgesellschaft explizit formuliert, dass 'die Wirksamkeit non-direktiver oder tiefenpsychologischer Therapie zur alleinigen Behandlung der hyperkinetischen Kernsymptomatik' nicht belegt ist und dass es sich dabei um 'entbehrliche Therapiemaßnahmen' handelt. Demgegenüber bewegt sich die Diskussion über wirksame Behandlungsformen überwiegend um Fragen, welchen Stellenwert die medikamentöse Behandlung oder verschiedene verhaltenstherapeutische Techniken haben bzw. wie beide zu kombinieren sind. Ohne auf Einzeltechniken näher einzugehen, kann festgehalten werden, dass eine Kombination von medikamentöser Behandlung mit verschiedenen verhaltenstherapeutischen Techniken die vergleichsweise beste Wirksamkeit erzielt." (S. 82)

2. Störungen des Sozialverhaltens
Die Darstellung beginnt mit einem Fallbeispiel. Darauf folgen Abschnitte zur Epidemiologie, Klassifikation, Diagnose und Symptomatologie. Ausführlich werden die verschiedenen ätiologischen Erklärungsansätze abgehandelt, um danach zu den indizierten therapeutischen Methoden überzugehen. Den Abschluß bildet eine Zusammenfassung:
"Störungen des Sozialverhaltens stellen eine der häufigsten Störungsbilder im kinder- und jugendpsychiatrischen Alltag dar, sei es im ambulanten oder im stationären Setting. Für die Behandlung wichtig ist die Beachtung evtl. komorbider Störungen wie depressiver Symptome, Teilleistungsstörungen oder eines zusätzlichen Drogenmissbrauchs. Die Pathogenese dissozialen Verhaltens wird heute als ein multifaktorielles Geschehen mit biologischen,  neurophysiologischen, psychologischen und soziokulturellen Faktoren gesehen. Psychotherapeutisch haben sich insbesondere Techniken aus dem verhaltenstherapeutischen Spektrum wie Techniken des operanten Konditionierens, des Modell-Lernens und kognitiver Methoden bewährt. Im Optimalfall entsteht ein multimodales Therapiesetting mit einzel-, gruppen- und familientherapeutischen Interventionen, die durch spezielles Elterntraining ergänzt werden können. Letztlich muss bei der eher weniger guten Prognose des Störungsbildes auch an die Möglichkeiten längerfristiger heilpädagogischer Maßnahmen in Kombination mit den psychotherapeutischen Verfahren gedacht werden." (S. 109)

3. Posttraumatische Belastungsstörungen
Einführung
:
"Posttraumatische Belastungsstörungen (PTB; am.: 'posttraumatic stress disorder', PTSD) sind komplexe psychobiologische Anpassungsstörungen auf ein äußeres Ereignis. Traumatisierende Ereignisse sind z.B. natürliche und von Menschen verursachte Katastrophen, Kriegserlebnisse, Folter, sexueller Missbrauch, körperliche und seelische Misshandlung, Krankheiten und der Tod naher Angehöriger. Ähnlich wie "Iife-events", von denen sie nicht immer eindeutig abgegrenzt werden können, führen sie zu akuten und chronischen Anpassungsstörungen, oft zu starken, nicht zu bewältigenden Affekten wie Todesfurcht, Hilflosigkeit, Trauer und Verzweiflung, körperlich zu einer autonom-nervösen Übererregbarkeit und schockartigen Zuständen.
     Nicht so spektakulär, aber mitunter nicht weniger belastend, sind mildere Formen der Traumatisierungen, besonders bei Kindern und Jugendlichen, wie Hänseleien, abwertende Äußerungen, soziale Ausgrenzungen, Misserfolgserlebnisse in der Schule und andere selbstwertverletzende Erlebnisse. In diesem Zusammenhang ist historisch interessant, dass beim ursprünglichen psychoanalytischen Störungsmodell (Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts) traumatische Erlebnisse gleichfalls eine zentrale Bedeutung hatten [so bei Breuer, Charcot, Freud, Janet und anderen; vgl. Kapfhammer, 2003; Endres und Biermann, 2002]. Es wurde die Beobachtung gemacht, dass Patienten auf Traumatisierungen mit bestimmten 'Abwehrmechanismen' reagierten. Diese stimmen z. T. mit der modernen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Auffassung über die Entstehung und Aufrechterhaltung der PTB wie z.B. das Vermeidungsverhalten und das Leugnen ('Verdrängen') bestimmter Teile der Realität überein.Während dieses ätiopathogenetische Modell in der Psychiatrie längere Zeit vernachlässigt wurde, ist es besonders durch Kriegsereignisse (z.B. Vietnam-Krieg) in Amerika wieder in den Vordergrund gerückt worden, und die PTB hat erstmals 1980 Eingang in ein Klassifikationsschema (DSM-III) gefunden." (S. 176)

Zur Therapie:
"In den 'Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen' wird die Anwendung folgender Psychotherapiemethoden empfohlen:

  • Rasche Frühintervention mit Beratung und Aufklärung des Umfeldes über die Folgen.
  • Einzeltherapie mit supportivem Vorgehen sowie vorsichtigem Durcharbeiten des Erlebten.
  • Expositionstechniken, um das Trauma in korrigierter Form emotional bewältigen zu können (traumaorientiertes Vorgehen).
  • Verhaltenstherapeutisch-kognitive Vorgehensweisen im Sinne einer multimodalen Traumatherapie (MMTT), um die Habituierung von Angststrukturen abzubauen.
  • Kognitiv orientiertes 'Eye-Movement-Desensitisation- and Reprocessing-Training'
  • Familienberatung und Familientherapie (Verringerung der 'Expressed Emotions').
  • Gruppeninterventionen auch unter Einbeziehung nonverbaler Verfahren, wie Gestaltung, Erzählen, Rollenspiel, Entspannungsverfahren.

Zur Pharmakotherapie wird in den Leitlinien ausgeführt:

  • Es handelt sich um eine relative Indikation.
  • Empfohlene Substanzen: Propanolol, Fluoxetin, Carbamazepin und Clonidin." (S. 185)

Das Kapitel endet mit einer ausführlichen Falldarstellung.

Die anderen Störungsbilder werden in ähnlicher Systematik demonstriert. Hervorzuheben ist die durchgehend klare, leicht verständliche Darstellungsweise und die kompakte Informationsdichte. Abbildungen, Tabellen und ein sorgfältige Sachwortverzeichnis steigern die Lesbarkeit. Aus sozialpädagogisch-psychologischer Sicht ist eventuell ein leichtes biologisch-medizinisches Übergewicht zu beklagen und die zu geringe Berücksichtigung der jüngsten neuropsychologischen Forschungsergebnisse. Insgesamt handelt es sich aber um ein solides praxisorientiertes Lehrbuch, das viele Leser, insbes. aus medizinischen, psychologischen und pädagogischen Berufen finden wird.

Kurt Eberhard  (Okt. 2004)

 

 

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