FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Veröffentlichungen / sozialppädagogische Fabeln

 

Bonny, das Blondhörnchen
 

Vorbemerkung: In der Biographiearbeit unseres Pflegekinderprojekts (TPP) werden nicht nur mäeutische Erinnerungsgespräche mit dem Kind bzw. Jugendlichen geführt, sondern auch möglichst viele andere Quellen (Verwandte, Bekannte, Akten, Zeugnisse, ärztliche Befunde etc.) erschlossen (vgl. Diplomarbeit von Ivo Stephan). Am Ende steht eine Chronik (in Form eines tabellarischen Lebenslaufs) und eine tiefenpsychologisch rekonstruierte Entwicklungsgeschichte. Letztere kann man den Kindern und Jugendlichen in ihrer Originalform oft erst viel später zumuten. In solchen Fällen übersetzen wir sie in eine leichter verdauliche Fabel. Diese Fabeln sind für Außenstehende natürlich nicht so interessant wie Fabeln, die allgemeinere Probleme für die Allgemeinheit darstellen (vgl. 'Fabeln statt Pillen'). Die nachfolgende Fabel wird hier nur aus methodologischen Gründen vorgestellt, auch in der Hoffnung auf Reaktionen von anderen Biographiearbeitern.
C.M. (Sept. 01)


Als Bonny geboren wurde, wunderten sich alle Tiere des Waldes über sein wunderschönes helles Fell. Die Mutter und sein älterer Bruder hatten einen ganz normalen braunen Eichhörnchenpelz.

„Das hat er von seinem Vater“ erläuterte die Mutter „aber der ist weggelaufen, als er sah, daß ich schwanger bin“ ergänzte sie und weinte bitterlich. Dabei griff sie zu einem Krug mit gegorenem Brombeersaft und trank daraus. Das tat sie immer, wenn sie traurig war. Und da sie viele Gründe hatte, traurig zu sein, hatte sie auch viele Gründe, aus dem Krug zu trinken.

Leider paßte sie dann nicht genug auf ihre Kinder auf, und so geschah es eines Tages, daß Bonnys Bruder hinter dem Wald in die hohen Felsen hineinkletterte und von einem großen herabstürzenden Stein erschlagen wurde. Nun weinte auch Bonny bitterlich und bekam zum Trost einen Schluck aus dem Brombeerkrug.

Ein Eichhörnchenmann sah seine Trauer und tröstete ihn. Das gefiel ihm und auch seiner Mutter. Sie heiratete diesen Mann und bekam von ihm ein neues Baby. Erst freute sich Bonny sehr, bis er merkte, daß das Baby von den Eltern viel netter behandelt wurde als er. Da wurde er richtig neidisch auf seinen kleinen Bruder, und der verpetzte ihn möglichst oft bei den Eltern.

Weil die Eltern lieber den gegorenen Brombeersaft tranken, als Nahrung für den Winter zu sammeln, wurden die anderen Eichhörnchen unruhig und mahnten: „Wir haben keine Lust, Euch durch den Winter zu füttern, also seht zu, daß Ihr Euch Eure eigenen Nüsse sammelt!“ Die beiden Eltern versprachen es, tranken aber weiter. Als der Winter kam, hatten sie nichts zu essen und mußten in ein Gehölz umziehen, in dem viele arme Tiere dicht gedrängt wohnten, die kärglich, aber regelmäßig vom Förster gefüttert wurden. Der Stiefvater fand es dort nicht schön und verschwand.

Bonny durfte endlich in die Schule gehen. Dort mußte er still auf einem Ast sitzen, zuhören, was die Lehrerin zu sagen hatte und es sich tagelang merken. So etwas war er von zu Hause nicht gewöhnt, deshalb verließ er oft den Ast und tummelte sich auf anderen Bäumen. Das war ein schönes Leben, nur seine Mutter war damit nicht einverstanden und schimpfte viel mit ihm.

Da er in der Schule nicht genug lernte, und die Streitereien zu Hause nicht aufhörten, wurde er in eine Familie gebracht, in der schon andere kleine Eichhörnchen mit ähnlichen Schwierigkeiten wohnten. Dort gehörte er zu den schlauesten und fühlte sich als der allerschlaueste. Es gefiel ihm sehr, daß er nun in einer richtigen Familie lebte mit Haus und Garten und allerlei Tieren. Er ging sogar regelmäßig zur Schule und las viele kluge Bücher.

Allerdings sollte er allmählich erwachsen werden. Das paßte ihm nicht, denn er hatte gesehen, daß die netten Erwachsenen viel arbeiten müssen und man sich auf die anderen nicht verlassen kann. Außerdem wußte er nicht, ob er lieber ein Männchen oder ein Weibchen werden sollte, fand keinen richtigen Freund und keine richtige Freundin. Er war mit sich gar nicht zufrieden und fing wieder an, die Schule zu schwänzen. Das machte auch die Eichhörnchen unzufrieden, bei denen er wohnte, und natürlich die Lehrer in der Schule.

Seine Mutter war in jener Zeit sehr krank geworden und starb, ohne ihr Blondhörnchen noch einmal gesehen zu haben. Da er niemanden kannte, den er lieb hatte und der ihn lieb hatte, sprang er eines Morgens in die weite Welt. Dort lernte er, freundlich zu sein, fleißig zu arbeiten und daß man sich nicht aussuchen kann, ob man ein Weibchen oder ein Männchen ist. Bald fand er ein hübsches Eichhornmädchen, das ihn gern hatte und für das er täglich schöne runde Nüsse sammelte.

Gehört und erzählt
von Kurt Eberhard

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