FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2001

 

Jörg Maywald, Bernhard Schön,
Bernd Gottwald (Hg.)

Familien haben Zukunft

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, 2000, 16,90 DM

 


Das in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind von Maywald, Schön und Gottwald herausgegebene Buch könnte in der Auswahl und Behandlung der Themen kaum provokanter sein. Die 25 Autorinnen und Autoren – überwiegend Eltern – gehören unterschiedlichsten Disziplinen an. Politiker, Publizisten, Erziehungsberater, Juristen, Pädagogen und Psychologen ziehen Bilanz zum Thema Familie. Aus dem Inhalt:

Margarita Klein
Eltern-Sein: Lebensform, Identität, Handwerk
Franz Resch
Kinder und Jugendliche heute - viel besser als ihr Ruf
Karin Jäckel
Wenn Familie Zukunft haben soll - Ein Einspruch
Jesper Juul
Kinder können mehr - und warum wir ihnen vertrauen sollten
Lore Maria Peschel-Gutzeit
Kinderwahlrecht - Zukunft der Familie?
Oskar Holzberg
Familie - Auslaufmodell oder Klassiker? Eine Bilanz
Uwe Britten
Was bringt die Zukunft? Jugendliche berichten
Renate Schmidt
Familie in - Familienpolitik out
Jan-Uwe Rogge
Chaos muss sein - oder: Eine Ermutigung zur Unvollkommenheit in der Erziehung
Jörg Tremel
Die neue Generationenfrage - oder:
Wie können wir die Rechte kommender Generationen sichern?
Johannes Goebel / Christoph Clermont
Neue Werte und Orientierungslosigkeit
Jörg Maywald
Kinder sind unschlagbar - oder:
Gewaltfrei erziehen, geht das?
Thomas Feibel
Generation @ allein zu Haus -
Der beste Schutz ist Vertrauen
Margit Jansen
Der Arbeitsplatz Kind qualifiziert für die moderne Arbeitswelt
Angela Fauth-Hekner / Elke Schleyen
Betriebe brauchen Mütter - oder:
Wie Kinder und Karriere zusammenpassen
Wassilios E. Fthenakis / Bernhard Kalicki
Die "Gleichberechtigungsfalle" beim Übergang zur Elternschaft
Jörg Otto Meier
Alles gut? - Ein Fotoessay
Bernhard Nauck
Familien ausländischer Herkunft in Deutschland
Jürgen Borchert
Sisyphos in Karlsruhe - oder:
Familienpolitik im Hamsterrad
Sigrid Nolte-Schefold
Die Stieffamilie -
Leben zwischen Wirklichkeit und Recht
Uta Meier
Familie als Zukunftsmodell - Minderheit und Armutsrisiko
Heribert Engstler
Der Wandel der Lebens- und Familienformen im Spiegel der amtlichen Statistik

Ein Hauptproblem sehen die Herausgeber darin, dass immer weniger Deutsche bereit sind, Kinder zu bekommen. Es mangelt an Anreizen und Unterstützung. Die Bundesfamilienministerin Christine Bergmann dazu im Vorwort:

„Familien brauchen ein verlässliches System, das ihre Grundbedürfnisse absichert. Wer sich für Kinder entscheidet, nimmt ein hohes Maß an Verantwortung und Verpflichtung auf sich. Eltern sollen in der Lage sein, ein Leben und Aufwachsen in einem wirtschaftlich abgesicherten, sozial förderlichen und fürsorglichen Umfeld anbieten zu können. Kinder müssen die Chance haben, das notwendige Vertrauen in unsere Gesellschaft aufbauen und Perspektiven für ihr Leben und ihre Zukunft entwickeln zu können. Um den Familien die notwendige Sicherheit zu geben, müssen die Lebensverhältnisse angemessen gestaltet, Leistungen und Lasten gerecht verteilt und Benachteiligungen beseitigt werden... Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beiträgt, intensive Diskussionen über die Situation und Zukunft von Familien anzuregen und die familiären Anliegen verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen.“ (S. 9f.)

Letzteres ist den Herausgebern gelungen.

Beispiel 1 - Kinderwahlrecht:

Die Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit – Mutter von drei Kindern – plädiert für eine Beteiligung von Kindern an der politischen Willensbildung über ein Wahlrecht.

„Aber wie kann man Kinder an der politischen Willensbildung beteiligen? Das geht doch gar nicht! Über ein Wahlrecht von Geburt an? Das ist doch Utopie! Oder vielleicht im Gegenteil der einzige Weg, um die politische Schieflage zwischen Alten und Jungen wieder auszugleichen? Jahrzehntelange soziologische und politische Entwicklung machen deutlich, dass die Belange und Interessen von Familien in der Politik nur dann einen ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft angemessenen Stellenwert erhalten, wenn sie im gebotenen Umfang auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen können. Eine wirkliche politische Einflussnahme setzt ein Wahlrecht voraus.“ (S. 54f)

Beispiel 2 – Gewaltfreie Erziehung:

Der Soziologe Jörg Maywald – Vater von drei Kindern – legt dar, dass Kinder

„...die einzige gesellschaftliche Gruppe in Deutschland sind, gegen die außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols bisher noch rechtmäßig körperliche Gewalt ausgeübt werden durfte. Grund dafür war das bis vor kurzem bestehende gewohnheitsmäßige Züchtigungsrecht der Eltern.“ (S. 121)

Mit der Änderung des § 1631 Abs. 2 am 6.7.2000 hat der Bundestag nun mehrheitlich beschlossen: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig.“

Maywald argumentiert für eine gewaltfreie Erziehung mit entwicklungspsychologischen Argumenten und Hinweisen darauf, „...dass der häufig gegebene Klaps zur gewohnten Reaktion werden und im Falle einer regelmäßig zu erwartenden Widerspenstigkeit des Kindes leicht zu heftigeren Körperstrafen führen kann.“ (S. 127), dass die „Schwelle zur Kindesmisshandlung“ in einem beunruhigenden Umfang überschritten wird, und die Folgen der Gewalt für die Kinder gravierend sind.

Und: In Artikel 19 Abs. 1 der von Deutschland 1992 ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention heißt es: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen....“ (s.a. Maywald: Die Position des Kindes stärken sowie die Forderung nach einem Kinderschutzgesetz)

Beispiel 3 – Familienpolitik aus Karlsruhe:

Der Richter Jürgen Borchert – Vater von zwei Kindern – attackiert die Familienpolitik der 90-er Jahre, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes nicht offensiv umzusetzen, durch konterkarierende Maßnahmen zu unterlaufen und an der materiellen Misere der Familien nichts zu ändern. Und das, obwohl die Regierungskoalition 1994 mit Rücksicht auf die Verfassungsrechtssprechung den „Abbau der wirtschaftlichen Benachteiligung von Eltern im Vergleich zu Kinderlosen“ (S. 190) als vorrangiges Politikziel erklärte. Das Gegenteil wurde erreicht: Die relative Einkommenslage der Familien hat sich sogar verschlechtert. Mehrwertsteuererhöhungen und das Aufkommen der Ökosteuer zur Finanzierung der Rentenversicherung, „Manipulationen am Existenzminimum“ sowie der „katapultartige“ Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge treffen Familien besonders hart.

Der aufmerksame Leser merkt spätestens hier, wie die aus den unterschiedlichen Blickwinkeln und Disziplinen herausgearbeiteten Fakten sich ineinander fügen. Schon im dritten Kapitel eröffnete Karin Jäckel, dass 1965 nur jedes 75. Kind unter sieben Jahren Sozialhilfeempfänger war, 1990 schon jedes 11.! (S. 41) Im Anhang wird dann erklärt: „Der typische Sozialhilfeempfänger in Deutschland ist heute 8 Jahre alt und hat eine alleinerziehende Mutter.“ (S. 246) Oder Renate Schmidt in Kapitel 8:

„75 Prozent der materiellen Belastungen durch ein Kind tragen die Familien selbst. Lediglich 25 Prozent werden vom Staat übernommen. Und diese vom «Staat» übernommenen Transfers finanzieren Familien über ihr Steueraufkommen wiederum überwiegend selbst.“ (S. 81)

Beispiel 4 – Kinder als Armutsrisiko:

Die Soziologin und Lehrstuhlinhaberin Uta Meier – Mutter eines Sohnes – rundet nach einer gründlichen Erläuterung zum Humanvermögenskonzept die Schreckensmeldungen ab. Die Leistungen der Familie zum Aufbau des volkswirtschaftlichen Humanvermögens betrugen 1990 rund 15 Billionen DM im Gegensatz zu knapp 7 Billionen DM gegenüber reproduzierbarem Sachvermögen. Dem steht z.B. gegenüber, „...dass sich Frauen mit Hochschulabschluss nach der Geburt eines Kindes bei einer angenommenen 6-jährigen Berufsunterbrechung, und zwar unter Berücksichtigung sämtlicher Transferleistungen, Einkommenseinbußen von 540.000 DM einhandeln. Das entspricht etwa 35 Prozent des erwartbaren Lebenseinkommens.... Hinzu kommt, dass Eltern gleichzeitig nach wie vor mehr als drei Viertel der anfallenden Kinderkosten selbst tragen müssen: Für die Gesamtheit der Versorgungs- und Betreuungsleistungen in einer 2-Kinder-Familie lässt sich allein bis zum vollendeten 18. Lebensjahr pro Kind ein Wert von ca. 400.000 DM – bei sehr moderaten Annahmen – ermitteln. Angesichts dieser Fakten ist es im Grunde geradezu erstaunlich, dass sich junge Frauen und Männer überhaupt noch für Kinder entscheiden.“ (S.219)

Der Fokus des Buches ist auf Kinder und deren Situation ausgerichtet. Es enthält wertvolle Tipps und Anregungen zur Erziehung, ohne die Misere um die Benachteiligung der Familie in unserer Gesellschaft zu beschönigen. Mit einer „12-Punkte-Erklärung“ plädieren die Autorinnen und Autoren für eine Stärkung von Familien, Kindern und Eltern. Die erdrückenden Fakten sind ein Appell an Politiker aller Parteien, unverzüglich tätig zu werden.
Christoph Malter (Okt. 01)

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